Die Wahrheit: Die Kurierrepublik

Neues von der Zukunft der Arbeit: Werden wir eine Nation von Botengängern? Wenn es nach Angela Merkel geht, spätestens ab dem Jahr 2021.

In einer Halle werden ganz viele Pakete von Menschen verpackt. Kameraperspektive von oben

Bis zum Horizont Pakete über Pakete – das ist die Zukunft des gründlich kurierten Gemeinwesens Foto: reuters

Nach Angela Merkels überraschender Wiederwahl im Jahr 2021 war klar, dass sie sich wieder einmal „neu erfinden“ musste. In ihrer Regierungserklärung formulierte sie damals jenen Satz, der sie zur unsterblichen Madame Curier der deutschen Geschichte werden ließ: „Wir schaffen das weg!“ Deutschland solle zur permanenten Just-in-time-Gesellschaft werden, beschloss die Kanzlerin: „Es kommt nicht darauf an, wo Dinge sind, sondern dass sie unterwegs sind.“

Durch eine Grundgesetzänderung wurde die Kuriertätigkeit für Männer, Frauen und Kinder im Jahr 2022 zur „vornehmsten Bürgerpflicht“ erhoben. Aber den Durchbruch zur Kuriergesellschaft brachte erst die Anpassung der Hartz-IV-Regelungen: Geringverdiener, die ohne Kurierfracht angetroffen werden, müssen seither mit finanziellen Sanktionen rechnen.

Unmut über Paradox

Für Unmut bei den Hartzern sorgt seither allerdings das sogenannte Schrödinger-Paradox: Sanktionen drohen nicht nur, wenn sie nicht als permanente Kuriere unterwegs sind – sondern auch, wenn sie nicht zu Hause angetroffen werden, während ein Paket für ihren arbeitenden Nachbarn abgegeben werden soll.

Deutlich teurer als die Human-Kuriere sind Roboter und Drohnen: Ein satter Cent pro Kilometer wird hier fällig. Das ist ein Erfolg der GKL – der „Gewerkschaft für künstliche Lebensformen“. Deren bestens vernetzter Vorsitzender HN5Q-R hatte 2023 einen wochenlangen Streik „für die Würde der automatisierten Arbeit“ organisiert und damit das Land vollständig lahmgelegt.

Denn gebracht und geholt wird mittlerweile alles: Ein Renner an heißen Tage ist beispielsweise Softeis. Bei Regen hingegen werden gern Meinungen transportiert, indem man einen Roboter zu einer Demo schickt, statt selbst hinzugehen. Gegen einen „Schwarzer-Block-Zuschlag“ kann man ihm Pflastersteine oder Mollis mitgeben.

Heiratsanträge werden ebenso durch Drohnen überbracht wie Entschuldigungen und Scheidungspapiere. Um den Akt der Zeugung zu vereinfachen, kommen Roboter als fahrende Gebärmütter oder Samenspender zum Einsatz; und auch die Babyklappe kommt jetzt anonym nach Hause und nimmt das Balg mit. Kuriere bringen Kinder zur Schule, Kurierinnen bringen Kinder zur Welt. Durch die Straßen patrouillieren Armeen von Ikea-Robotern mit offenen Transportbehältern und den gängigsten fehlenden Teilen.

Seit 2022 ist die Kuriertätigkeit für Männer, Frauen und Kinder „vornehmste Bürgerpflicht“

Aber es gibt auch Probleme: Seit Eilpakete in Blaulichtfahrzeugen mitgenommen werden müssen, verlieren die Notärzte immer öfter kostbare Zeit durch das Ausfüllen roter Karten. Samstags und sonntags bricht regelmäßig der Verkehr in den Städten zusammen, weil Armeen von Brötchen-Robotern die Großbäckereien verlassen und als „kritische Masse“ stets Vorfahrt haben. Auch am 31. 12. staut es sich regelmäßig vor den Finanzämtern: Zehntausende von Drohnen wollen dort Steuererklärungen abgeben.

Für volkswirtschaftliches Chaos sorgte der Kreml am 26. Juni 2024, als er in Deutschland „einmal Amazon rauf und runter sowie je 20.000 Kilometer Schienen und Autobahnen“ bestellte. Der Auftrag wurde vollautomatisch ausgeführt; der Wiederaufbau dauert an.

Roboter bedienen sich der Drohnen

Ad absurdum führt sich das System, wenn Roboter sich von Drohnen durch die Gegend fliegen lassen – oder wenn sie einander Computerzeitschriften und Viren liefern und sich gegenseitig Kaugummis auf die Linse kleben.

Mittlerweile werden die Menschen unzufrieden – und erfinderisch. Weil zu oft kaltes Essen geliefert wurde, verabreden sich Lieferanten und Kunden an sogenannten „Hot-Spots“ mit Tischen und Stühlen, wo das Essen einigermaßen warm verzehrt werden kann. Den Plan, das Essen dann doch gleich vor Ort zuzubereiten, verhinderte die GKL mit dem Argument, dadurch würden die Arbeitsplätze elektronischer Kuriere gefährdet.

Das größte Problem allerdings entsteht dadurch, dass jeder als Kurier unterwegs und deshalb niemand zu Hause ist. Neuerdings organisieren die Kuriere sich deshalb konspirativ und treffen sich an zentralen Orten, um dort aus Protest ihre Last abzulegen und zur Abholung bereitzuhalten. Es bilden sich bereits feste Strukturen wie Dach, Eingangstür, Regale und Kassen. Wir bleiben dran, holen ab und stellen zu. und

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