Bei den Protesten im November wurden mehrere Studierende verhaftet Foto: Siphiwe Sibeko/reuters

Erhöhung in den Semesterferien

Südafrika Im November lieferten sich Studenten und Polizei regelrechte Gefechte wegen der hohen Studiengebühren. Die momentane Ruhe dürfte bald vorbei sein. Im neuen Jahr wird das Studium noch teurer

Aus Johannesburg Martina Schwikowski

Die Universitäten in Südafrika sind geschlossen. Nichts erinnert mehr an die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Studenten, die sich noch im November wutentbrannt auf dem Gelände der Witwatersrand Universität in Johannesburg gegenüberstanden. Benzinbomben und Gummigeschosse flogen durch die Luft, Wasserkanonen sollten protestierende Studenten vertreiben. Sie warfen Steine auf das Sicherheitspersonal, das vor der „Great Hall“ auf dem Campus stationiert war. Wenn im neuen Jahr die Türen der Lehranstalten wieder geöffnet werden, könnten sich neue Proteste zusammenbrauen. Denn das heiße Eisen für die Studierenden: die teuren Universitätsgebühren und diese sind gerade erhöht worden.

Die #feesmustfall-Kampagne hatte im Oktober und November vielerorts die Hochschulen des Landes lahm gelegt. Statt in den Lehranstalten zu sitzen, nebelten Tränengas und Rauchgranaten der Polizei die Studenten auf dem Campus ein. Die Demonstrationen waren Teil einer landesweiten Aktion gegen Studiengebühren, die vor allem vielen schwarzen Studierenden aus ärmeren Schichten eine Hochschulausbildung nur schwer zugänglich macht. Die Studenten fordern ein Ende der Studiengebühren. Für mehr soziale Gerechtigkeit und höhere Bildungschancen.

Die Regierung hat bisher nicht auf ihre Proteste geantwortet. „Es ist entmutigend“, sagt Keamo Rakgoadi. Die 20-Jährige studiert Psychologie und Anthropologie im ersten Jahr an der Witwatersrand Universität, oder einfach „Wits“, wie sie hier genannt wird. Auch Rakgoadi gehört zu den Studierenden, die es schwer haben, die jährlichen Gebühren zu zahlen. Für sie sind es knapp 3.000 Euro im Jahr, dazu kommen die Einschreibegebühren von derzeit 600 Euro. „Meine Mutter ist alleinerziehend, das ist knapp bei uns.“ Sie unterstützt die Protestbewegung, lehnt aber die eskalierende Gewaltwelle und Zerstörung der Hochschulen ab.

Bereits im Vorjahr kam es an Hochschulen im ganzen Land zu Ausschreitungen – die jüngste Protestwelle begann im September und schwoll schnell an. Bildungsminister Blade Nzimande hatte dennoch empfohlen, die Gebühren für 2017 zu erhöhen. Als die Unis für die Sommerpause Anfang Dezember geschlossen waren, kündigte Wits schließlich die Erhöhung der Gebühren um durchschnittlich acht Prozent an. Die Uni müsse ihren Betrieb trotz steigender Inflation finanzieren können, lautete die Begründung. Trotz der acht Prozent Erhöhung fehlten 56,5 Millionen Rand (ca. 3,8 Millionen Euro). Der Studentenrat an der Uni zeigt sich enttäuscht und hält an einem Moratorium für eine Erhöhung von Gebühren fest, bis die Umsetzung von „freier, qualitativer und dekolonialisierter Erziehung“ erreicht worden sei.

Eine Kritik, der sich Studentin Keamo Rakgoadi anschließt. Sie ist unzufrieden mit der Art, wie die Regierung das Land führt. „Der Afrikanische Nationalkongress drängt Erziehung an den Rand. Sie wollen eine Gesellschaft, die nichts hinterfragt. Dabei ist es die Erziehung und Bildung der Menschen, die für eine Verbesserung der Wirtschaft sorgt.“ Das Versprechen der ANC-Regierung 1994 auf freie Erziehung für alle sei ein hochgestecktes Ziel gewesen. Der Zugang zu Universitäten sollte sich aber nach guten Noten richten, meint die Studentin. Wenn die Eingangshürden überwunden seien, sollten die Studienjahre umsonst sein. Um das zu ermöglichen, müsste das Haushaltsbudget für Erziehung umgestaltet werden, aber auch der private Sektor mehr hinzugezogen werden.

Das könne nicht über Nacht geschehen, weiß Keamo Rakgoadi. Sie unterstützt die Proteste auch deshalb, weil sie hofft, die verantwortlichen Leute über die Gebührensituation zum Nachdenken zu bewegen. Es sei uncool, dass Wits ständig die Polizei auf dem Campus hatte und Gespräche mit der Uni-Führung nichts bewirkt hätten. An einen Erfolg der Proteste glaubt sie nicht. Dafür sei die Studentenbewegung nicht vereint genug. Es gebe Studentenführer, die zu verschiedenen politischen Parteien gehörten und sich gegenseitig bekämpfen. Diese Radikalisierung lehnt sie ab.

Loren Landau ist Professor und Direktor des Afrika-Zentrums für Migration und Gesellschaft an der Witwatersrand Universität. „Das zweite Jahr des Protestes bei Wits hat tiefe philosophische Spaltungen innerhalb der südafrikanischen Akademie und Gesellschaft als Ganzes offenbart. Bei den Konfrontationen ging es jetzt weniger um die Gebühren als zuvor“, sagt Landau. Er sieht in der Bewegung mehr die Fähigkeiten einer neuen Generation, den Status quo zu verändern und eine neue Art von nicht einvernehmlichen Mehrheitsnationalismus unter Akademikern und idealerweise in der Gesellschaft zu bilden.

Die Universitäten als Stätten der Befreiung und der kritischen Auseinandersetzungen seien jedoch kompromittiert worden: „Der Wille der Regierung, die Universitäten für sich selbst sorgen zu lassen, wird sie schwächen. Die Bewegungen und Reaktionen haben Linien und Trennungen gezogen, die auch Debatten so beeinflussen werden, dass sie ironischerweise einen sorgsamen Prozess der Entkolonialisierung beeinflussen werden – zugunsten von populistischen Gesten.“

Der Afrikanische ­Nationalkongress drängt Erziehung an den Rand. Sie wollen eine Gesellschaft, die nichts hinterfragt

Keamo Rakgoadi über die Regierungspartei Südafrikas

Die Proteste an den Universitäten hätten sich nach Hautfarben ausgerichtet, bestätigt Uni-Sprecherin Shirona Patel. Doch Studenten aller Hautfarben wollten auch zum normalen Uni-Betrieb zurückkehren, um dieses akademische Jahr mit den Abschlussexamen im November nicht aufs Spiel zu setzen. Auch wenn der Unterricht im neuen Jahr weitergeht – das Gebührenproblem ist nicht gelöst. Der Hochschulbetrieb sei mehr als zwei Jahrzehnte unterfinanziert worden, sagt Patel. Ein Vorschlag könnte sein, die Gebühren über die nächsten zwei, drei Jahre anzupassen und so zu einem freien Zugang zu Bildung zu gelangen.

Die Studiengebühren sollten steigen, doch für die zusätzlichen Kosten soll bei Studenten aus Elternhäusern mit einem geringen Einkommen (knapp 39.000 Euro im Jahr) der Staat aufkommen, sagt Bildungsminister Nzimande. Er schätzt, dass 70 bis 80 Prozent der an den Hochschulen Eingeschriebenen betroffen sind. „Wir können nicht unsere Universitäten zerstören, um Gebührenerhöhungen für die Reichen zu vermeiden“, erklärte er in südafrikanischen Medien.

Kamogelo Sebopelo glaubt nicht, dass die Gebühren wieder fallen können. Unterschiedliche Gebühren für Weiße und Schwarze findet er rassistisch. Deshalb will er weiter protestieren. „Es ist ein gemeinsamer Versuch, die Situation für alle zu verändern.“ Die Gebühren werden steigen, nichts sei umsonst, sagt der 24-jährige Student. Aber die Aggressivität in der Bewegung sei nicht hilfreich. „Wir müssen realistischer werden und den Ton ändern. Jede Gruppe, also Regierung, Universitäten und andere Sektoren müssen fragen, was könnt ihr in den großen Topf geben.“

Er selbst konnte die Gebühren für sein Studium der Buchhaltung bei Wits nicht mehr bezahlen und musste das Handtuch werfen. Nun studiert er an der Fernuni in Pretoria, das ist billiger.