Berliner Szenen
: Im Advent

Asiatisches Huhn

Zimt haben sie vergessen einzupacken, im Trendladen

Es ist Freitagabend, kurz vor neun, als es an der Wohnungstür klopft. Vor mir steht mein Nachbar mit einem winzigen Schüsselchen. „Habt ihr Zimt?“, fragt er. Keine ungewöhnliche Frage bei uns im Haus. Wir kennen uns alle gut und vor allem schon lange. Wir nehmen Pakete an, geben Lebensmittel ab, Kinderklamotten weiter und bringen Kuchenprobierstücke vorbei.

An einem Abend im Advent ist der Wunsch nach Zimt sowieso nachvollziehbar. Man braucht den jetzt dauernd zum Backen. Aber mein Nachbar, der wenig später staunend vor meinem Gewürzregal steht, hat etwas anderes damit vor. Seine Familie holt sich das Abendessen nämlich häufig in einem dieser trendigen Läden in Prenzlauer Berg, in denen es Rezepte gibt und die Zutaten fürs Essen gleich abgepackt dazu. Man kocht das dann selbst. Heute gibt es asiatisches Huhn, und alle Gewürze sind dabei, bis auf den Zimt. Den haben sie vergessen einzupacken im Trendladen. Mein Nachbar hat keinen Zimt im Haus. Nie. „Wozu braucht ihr den denn?“, fragt er mich erstaunt. Kekse und Punsch, Zimtzucker für Milchreis und Eierkuchen, morgens aufs Müsli, als Gewürz für Apfelmus. Mir fällt da viel ein. Ich kann mir nicht vorstellen, so selten zu kochen, dass die Abwesenheit bestimmter Gewürze nicht auffällt.

Am nächsten Morgen ist die Weihnachtsfeier vom Fußballverein. Die Eltern bringen was fürs Büfett mit, wie jedes Jahr. Es gibt Schokoküsse, Kartoffelchips, Donuts vom Stand, eingeschweißte Würstchen, Nudelsalat aus dem Kühlregal und Discounter-Fruchtsaftgetränk. Ich stehe in der freudlosen Pankower Turnhalle und sehe auf die freudlosen Plastikverpackungen, die auf dem alten Turnkasten aufgebaut sind. Dagegen ist das Nichtvorhandensein von Zimt zu verschmerzen. Das asiatische Huhn war bestimmt lecker gestern. Gaby Coldewey