Gut geordnet: eingefrorenes Saatgut in der Saatgutbank

Investition in eine grüne Zukunft

Botanische Vielfalt Tiefgefroren in einem Dahlemer Keller liegt ein genetischer Schatz: die Samen von Tausenden Wildpflanzenarten. Die Saatgutbank des Botanischen Gartens konserviert biologische Diversität – und entlässt sie bei Bedarf wieder zurück in die Natur

Am Mikroskop: Thomas Dürbye, Leiter der Dahlemer Saatgutbank

von Claudius Prößer
Fotos Lia Darjes

Es ist eisig in diesem Banktresor: 24 Grad unter null. Wer einen Blick auf die Schätze in den Regalen werfen will, sollte sich winterfest anziehen oder wenigstens einen warmen Schal umlegen wie Thomas Dürbye. Der Leiter der Dahlemer Saatgutbank präsentiert nicht ohne Stolz die Werte, die hier gut geschützt im Kälteschlaf liegen: Erbsengroße oder nadelspitzenkleine Pflanzensamen, zusammen mit körnigem Silica-Gel in Reagenzgläser abgefüllt. Jeweils mehrere dieser Röhrchen stecken in einem hohen Einweckglas, wiederum gebettet auf eine Schicht des gelben Granulats, das noch den kleinsten Rest von Feuchtigkeit aufsaugt. Solange die Kühlung funktioniert, bleiben diese ganz speziellen Bankeinlagen eine Ewigkeit intakt – oder zumindest eine halbe.

„Wir haben die Methode von der Saatgutbank in Madrid übernommen, die ist etwas älter als unsere“, erklärt Dürbye später in seinem Büro. Der flache Gebäuderiegel hinter dem Botanischen Museum, an dessen Wand in weißen Lettern „Dahlem Seed Bank“ prangt, wurde erst vergangenes Jahr von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks eingeweiht. Finanziell ermöglicht hat den rund eine Million Euro teuren Neubau ein privater Nachlass. Die Saatgutbank gibt es bereits seit 1994 – sie ist also noch jung und doch eine der ältesten Einrichtungen in Deutschland, die sich um Sammlung und Konservierung von Wildpflanzensamen kümmert.

Sicherung der Vielfalt

Beim Stichwort „Saatgutbank“ war in den vergangenen Jahren das Svalbard Global Seed Vault medial sehr präsent, jener Bunker für Kulturpflanzen-Samen im Permafrostboden der norwegischen Insel Spitzbergen. Große keimfähige Vorräte von Reis und Weizen über Bohnen und Kartoffeln bis zu Maniok und Kokosnüssen sollen die genetische Vielfalt dieser lebenswichtigen Pflanzen vor kriegerischen oder klimatischen Katastrophen bewahren. In Dahlem fällt alles unspektakulärer aus. Wichtig ist die Arbeit der fünf Mitarbeiter des Botanischen Gartens, der heute zur Freien Universität gehört, trotzdem: „Wir leisten einen Beitrag dazu, die biologische Vielfalt zu sichern“, erklärt Thomas Dürbye.

Die Saatgutbank Dahlem gehört zum Botanischen Garten und Botanischem Museum und somit zur Freien Universität. Aufgabe ist die Konservierung von Wildpflanzensamen, insbesondere gefährdeter Arten.

Gesammelt wird vor allem im nordöstlichen Deutschland, im östlichen Mittelmeerraum und im Kaukasus. Auch taxonomisch – also auf die Pflanzen-Systematik bezogen – gibt es Schwerpunkte: Nelkenpflanzen und Korbblütler. Die Saatgutbank arbeitet im Verbund mit anderen Einrichtungen wie den Botanischen Gärten Regensburg oder Osnabrück, die jeweils andere regionale und taxonomische Schwerpunkte setzen. Außerdem gehört sie zum europäischen Verbund der Saatgutbanken.

Alle Samen, die in der Saatgutbank lagern, werden in einen Katalog – den Index Seminum – aufgenommen, der weltweit an 600 Institute und Botanische Gärten versandt wird. Diese können dann in Dahlem kostenlos Saatgut bestellen.

Viele Arbeiten mit dem Saatgut wie die Vorbereitung zur Einlagerung und die Keimversuche können von BesucherInnen des Botanischen Gartens durch die Fensterfronten des Neubaus beobachtet werden. (clp)

Das fängt gleich vor der Haustür an. Ein geografischer Schwerpunkt der Saatgutbank ist der Raum Berlin-Brandenburg. Mit rund 1.900 Arten ist der botanische Reichtum der Region im weltweiten Vergleich zwar überschaubar, trotzdem stehen auch die hiesigen Pflanzenpopulationen unter großem Druck. Die Landwirtschaft macht durch Überdüngung, neuerdings auch durch Monokulturen von Energiepflanzen wie Mais und Raps viel kaputt. „Wenn Sie die Pflanzenvielfalt an heutigen Standorten mit Aufzeichnungen vergleichen, die Botaniker vor mehreren Jahrzehnten an derselben Stelle gemacht haben, sind viele Arten einfach verschwunden“, so Dürbye. Mit den Ressourcen der Saatgutbank können manche solcher Lücken geheilt werden, künftig und auch jetzt schon.

Beispiel Berlin: Für einen geschützten Sandtrockenrasen im Bezirk Reinickendorf haben die Mitarbeiter der Saatgutbank aus ihren Beständen Küchenschellen herangezogen. Das lila blühende Hahnenfußgewächs – wissenschaftlicher Name: Pulsatilla vulgaris –, das an warmen, trockenen und nährstoffarmen Standorten gedeiht, steht in Deutschland auf der Roten Liste gefährdeter Arten und war innerhalb der Stadtgrenzen Berlins fast ausgestorben. Ein erster Rettungsversuch scheiterte: Die meisten der gepflanzten Küchenschellen wurden von ahnungs- oder rücksichtslosen Spaziergängern geklaut. Mittlerweile – nach einer zweiten „Ausbringung“ – gedeihen und vermehren sich die seltenen Blumen aber.

Auch Dürbyes Kollegin Elke Zippel bewahrt bedrohte Pflanzen. Die Botanikerin arbeitet an der Saatgutbank im Rahmen eines von der Bundesregierung finanzierten Drittmittelprojekts: Im „Netzwerk zum Schutz gefährdeter Wildpflanzen in besonderer Verantwortung Deutschlands“ (WIPs-De) kümmert sie sich zusammen mit einer Kollegin um ein Dutzend bedrohter Arten im Nordosten Deutschlands.

Gefährdete Populationen

Bundesweit werden im Rahmen von WIPs-De die Samen 15 heimischer Pflanzenarten – vom Stängellosen Tragant über das Breitblättrige Knabenkraut bis zum Sumpf-Bärlapp – gesammelt und konserviert oder zu Pflanzen herangezogen, mit denen gefährdete Populationen unterstützt oder bereits verloren gegangene Flächen neu besiedelt werden. 11 dieser 15 Arten wachsen in der Nordost-Region, unter anderem die als Heilpflanze bekannte Arnika, in deren Wildbeständen Zippel regelmäßig Saatgut sammelt. In Brandenburg ist das Angebot freilich rar: „Hier gibt es überhaupt nur noch eine vitale Population, und zwar auf einer Wiese in der Lausitz.“ Die wird im Rahmen des Projekts beobachtet.

Auch Sammelstelle für Saatgut: Gewächshaus des Botanischen Gartens

In Vorpommern haben die Berliner dagegen einen kleinen Bestand der Blume mit den sternförmigen, gelben Blüten mit Jungpflanzen gestützt, herangezogen aus Samen, die sie vor Ort gesammelt haben. Das ist wichtig, so Zippel, weil dadurch mögliche genetische Anpassungen an den Standort erhalten bleiben. Der Versuch, eine Tiefland-Population mit Pflanzen aus dem Gebirge zu vergrößern, könne den ursprünglichen Bestand im schlimmsten Fall sogar vernichten. Jetzt hegt sie aber die Hoffnung, dass die Population der Arnica montana groß genug ist, um sich selbstständig verjüngen zu können. Denn mit den Pflanzen ist es wie mit den Tieren: Sind irgendwann so wenige Individuen übrig, dass diese sich nur noch durch Inzucht vermehren, kann es sein, dass sie sich irgendwann gar nicht mehr vermehren.

„Die Wirbeltier-Zoologen sind uns mit ihren Auswilderungsprogrammen hundert Jahre voraus“, sagt Zippel. Dennoch weiß sie das erstarkende Interesse an sogenannten Ex-situ-Erhaltungsmaßnahmen zu würdigen: „Noch vor zehn Jahren war es fast unmöglich, für unsere Anliegen eine Finanzierung zu bekommen.“

Im neuen Gebäude der Saatgutbank werden die Erträge aller Sammlungen sorgfältig gereinigt. In Absaugstationen werden sie gesiebt und von Staub befreit, dann wiegen die Mitarbeiter, füllen ab und dokumentieren. Vor dem langen Winterschlaf müssen die Samen in den sogenannten 15/15-Raum, wo sie bei 15 Grad Celsius und 15 Prozent Luftfeuchtigkeit trocknen. Aber auch mit dem anschließenden Einlagern im Keller endet die Arbeit nicht. Regelmäßig werden Proben aus der Kälte geholt und in Petrischalen zum Keimen gebracht. Sollte eine Charge die Keimfähigkeit verlieren, werden rechtzeitig Pflanzen aufgezogen, um von diesen neu ernten zu können.

Platz in den Regalen

Zurzeit lagern rund 7.000 Reagenzgläser im Dahlemer Kälteraum. Allerdings gehören die Samen darin zu weniger als 2.000 verschiedenen Pflanzenarten, wie Dürbye erläutert – es werden nämlich, wenn möglich, immer Samen von unterschiedlichen Populationen gesammelt, um die genetische Variation möglichst gut abzubilden. Zieht man in Betracht, dass allein in Brandenburg rund 1.900 höhere Pflanzenarten wachsen – Flechten oder Farne nicht eingerechnet – und dass die Saatgutbank Samen aus vielen Ländern konserviert, bleibt noch eine Menge zu tun. Es ist ja auch noch Platz in den Regalen.

Auch Thomas Dürbye als Leiter der Einrichtung nimmt immer mal an Sammelexkursionen teil. Manchmal geht es für einen Tag in den Harz oder nach Mecklenburg-Vorpommern, vergangenes Jahr führte ihn seine Tätigkeit aber deutlich weiter in die Ferne: ins russische Altai-Gebirge an der Grenze zu Kasachstan, China und der Mongolei. „Da waren wir zwanzig Kollegen aus Deutschland und einige aus Russland mit geländetauglichen Fahrzeugen unterwegs“, erzählt er, „wir haben drei Wochen gezeltet, es gab keine Dusche und nur eiskaltes Wasser.“ Sein begeisterter Tonfall verrät, dass es durchaus Spaß machen kann, tagelang durch die Wildnis zu streifen und Tüte um Tüte sorgfältig mit Fruchtständen zu befüllen.