Da feiern mal die Gegner

ballSPort Holstein Kiel spielt unter Trainer Markus Anfang einen für die Dritte Liga ungewöhnlich attraktiven Offensivfußball. Weil aber jemand fehlt, der verlässlich die Chancen verwandelt, jubeln jetzt die anderen

In dieser Drittliga-Saison im Fußballstadion von Holstein Kiel ein seltener Anblick: Jubel der gegnerischen Fans Foto: imago/objectivo

von Andreas Geidel

Der Höhenflug des Fußball-Drittligisten Holstein Kiel ist etwas ins Stocken geraten. Die Mannschaft verlor am Samstag zu Hause mit 1:2 (1:1) gegen die SG Sonnenhof Großaspach. Sieben Spiele in Folge waren die Kieler zuvor ungeschlagen, hatten zuletzt zwei Siege in Folge gefeiert. Auch gegen Großaspach legten die Kieler los wie die Feuerwehr. Von einem über sein Team hinwegfegenden Tornado sprach Großaspachs Trainer Oliver Zapel später.

Das 1:0 von Kingsley Schindler (11.) spiegelte in Zahlen nur ungenügend die anfängliche Überlegenheit der Kieler wider. Doch dann brach die Innenverteidigung um Niklas Hoheneder (Bänderriss/38.) und Dominik Schmidt (Rote Karte/51.) weg. Großaspach kam erst durch Nicolas Jülich (40.) zum Ausgleich, dann durch Maria (90.) zum unverhofften Siegtor. Der Last-Minute-Treffer war binnen 93 Spielminuten erst der dritte Schuss auf das Kieler Tor.

„Solche Spiele kannst du nur verlieren, wenn etwas Besonderes passiert“, sagte Holsteins Trainer Markus Anfang. Der 42-Jährige hätte aber auch einfach die mangelhafte Chancenverwertung seiner Spieler in den Vordergrund stellen können. Zum x-ten Male stellten sich seine Profis vor dem Tor amateurhaft an. Dieses Mal vergaben Schindler (3., 80.) und Mathias Fetsch (29., 82.) zusammen vier Hundertprozenter.

Trotz dieses Mankos hat Holstein Kiel das beste Torverhältnis (+11) der Dritten Liga. Nur Magdeburg, Chemnitz, Großaspach und Regensburg haben mehr Treffer erzielt als die Kieler (26), lediglich Duisburg und Halle weniger Gegentreffer gefangen.

„Solche Spiele kannst du nur verlieren, wenn etwas Besonderes passiert“

Markus Anfang, Trainer Holstein Kiel

Als der frühere Trainer Karsten Neitzel am 16. August von seinem Amt entbunden wurde, sahen viele Experten ein kaum zu füllendes Vakuum auf Holstein Kiel zukommen. Erst recht, als der ehemalige Cheftrainer des VfB Stuttgart, Ralf Becker, dann den unerfahrenen Markus Anfang als Nachfolger präsentierte. Hatte der doch zuvor lediglich im Nachwuchsbereich von Bayer Leverkusen kleine Erfolge (deutscher B-Jugend-Meister 2016) gefeiert.

Aber Markus Anfang startete den System-Neubeginn: Weg von der Mann- und hin zur Raumdeckung. Ballbesitz, schnelle Kombinationen, schnelles Pressing und schnelles Umschaltspiel. Der zunächst als naiv bewerterte Versuch, die vor allem durch Schlichtheit und defensive Disziplin geprägte Dritte Liga mit attraktivem Offensivfußball zu rocken, funktionierte tatsächlich. Was einzig fehlt, um das Missverhältnis von Chancen und Punkteertrag zu korrigieren, ist ein eiskalter Vollstrecker vorm Tor. Das ist eine frustrierende Erkenntnis. Aber auch ein Problem, das vor Beginn der Rückrunde zu beheben sein könnte.

2015 verpasste Holstein Kiel den Aufstieg in die Zweite Fußball-Bundesliga in der Münchner Allianz Arena gegen 1860 München nur um Sekunden. In dieser Saison haben sie erneut die Chance, den Aufstieg zu schaffen. Das mit einem DFB-Stern ausgezeichnete Nachwuchsleistungszentrum und die wirtschaftliche Potenz des Vereins müssen das Rampenlicht des Bundesliga-Unterhauses jedenfalls nicht scheuen.