Wie geht’s uns denn?

Deutschland (22) – die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Im kurzen Exil

Lieber Leser,

dieser Text entsteht unter dem starken Einfluss von Tetley-Tee, naturally rich in antioxidantes. Zu früher Morgen in so einem angenehm einsamen britischen Hotelzimmer, schräge Decken unterm Dach. Gestern ging nichts mehr, und das war gerade eben erst. Jetzt also etwas Beeilung bitte.

Wie schnell sich doch die Erinnerung aufs Wesentliche konzentriert. Und wie überraschend das dann ist. Vielleicht liegt es auch an meinem – seit einem Sturz von einer Schaukel erschütterten – Gehirn, aber ich denke immer an diese Frau. Sie ist ziemlich hübsch, ziemlich klug, Reihenfolge egal. Sie ist auf eine sehr bestimmte Art die Cousine von Kate Moss. Sie war sich nicht sicher, ob sie meine Haare mag.

Dann reise ich in der Nacht nach Liverpool. Glücklicherweise entscheidet sich Valtin in letzter Minute fürs Mitkommen. Bevor wir in Schönefeld in den Müllsack-Flieger von Easyjet steigen, setzt Valtin eine dieser überdimensionalen alten Damen-Lichtschutzbrillen auf, um seine Augen nicht den schlechten Strahlungen auf dem Flughafen aussetzen zu müssen: „Man muss vorsichtig sein“, sagt er. Haben dann ein kleines Problem mit dem Polizist an der Sicherheitskontrolle. Valtin schnattert ihn konsequent auf Englisch an, und das versteht er nicht. Wehrt sich mit Auspacken, Unterhemden-Angrapschen, Zahnpastatube-Zerquetschen. Menschen mit Oberlippenbart haben immer schlechte Laune. Schnell raus aus Germanistan.

Sitzen dann in Liverpool auf der Straße vor einem der vielen Inder. Essen Erdbeeren und schauen rum. Vorbei laufen zwölfjährige Jungs, mit Pitbulls und Mädchen. Ein Werbeplakat für eine Stadterneuerung mit dem schönen Namen „Paradies Projekt“. Wind weht kalt und klar wird: Gut aussehen ist leicht, glücklich sein schwer, nichts ewig.

Landen in so einer Wettkneipe. Läuft gerade australisches Kricket. Hübscher Typ mit schweren Ringen unter den Augen sagt: „I like your hair“, und es klingt wie „hey“. John, Johnny also, ein Freund vom Freund von Kate Moss. Auf seinem Shirt-Ärmel mit Filzstift: „Balachadha Olè“. Plaudern so und rauchen ein bisschen dahin. Aus den Boxen heult jetzt Kate Bush „Don’t Give Up“.

„Glücklich?“, frage ich Johnny, und er meint: „Klar, wenn nicht jetzt, dann nie.“ Neben uns rührt ein alter Mann mit Zahnproblemen im Kaffee. Ich denke, Exil ist immer gut. Örtlich oder im Innern, das spielt dabei keine Rolle. Lieber Leser, und wie geht es dir?