Streit über Rolle der Schiiten

Ein heftiger verbaler Schlagabtausch zwischen den Regierungen in Riad und Bagdad zeigt, dass sunnitsch-schiitische Spannungen vom Irak in die Region ausstrahlen

Themen wie Palästina werden durch eine stärkere antischiitische Haltung ersetzt

KAIRO taz ■ Die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak werden in zunehmendem Maße auch zu einem regionalen Problem. Schließlich ist der Irak das einzige arabische Land, in dem eine schiitische Mehrheit dabei ist, die staatlichen Institutionen zu dominieren. Der latente Konflikt wurde in dieser Woche auch auf dem diplomatischem Parkett deutlich.

Anlass war eine öffentliche Klage des saudischen Außenministers Saud al-Faisal über den wachsenden iranischen Einfluss auf die Schiiten im Irak. Der schiitische Innenminister in Bagdad schlug daraufhin mit ungewöhnlich scharfen Worten zurück: „Was sollen diese Ratschläge dieser Kamel reitenden saudischen Beduinen an uns Iraker, die wir der menschlichen Zivilisation vor tausenden von Jahren das Lesen beigebracht haben?“ Der kurdische irakische Außenminister entschuldigte sich zwar später für die Äußerung, doch sein Kollege vom Innenressort weigerte sich strikt, seine Worte zurückzunehmen. Inzwischen versucht der iranische Außenminister Manouchehr Mokkati mit einer Reise nach Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten, die Wogen zu glätten.

Mit der wachsenden politischen Rolle der Schiiten im Irak ist auch das Selbstbewusstsein ihrer Glaubensbrüder gewachsen, die in vielen Golfstaaten eine Minderheit bilden. Dies gilt auch für Saudi-Arabien, wo die Schiiten, die etwa zehn Prozent der 16 Millionen Einwohner ausmachen, als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Der neue saudische König Abdallah, der mit dem Versprechen angetreten ist, alle Bürger fair zu behandeln, wurde letzte Woche erstmals beim Wort genommen. Schiitische Delegationen statteten dem neuen Monarchen mehrere Besuche ab und überreichten ihm Petitionen. Darin forderten sie die Freilassung schiitischer politischer Gefangener und eine größere Beteiligung an den staatlichen Institutionen. Konkret wurden ein Kabinettsposten und mehr schiitische Mitglieder in der beratenden Schura eingeklagt.

Saudi-Arabiens Schiiten, die hauptsächlich im ölreichen Osten des Landes leben, sind bisher in staatlichen Ämtern vollkommen unterrepräsentiert. Es gibt keinen schiitischen Minister und es gab nur einmal einen schiitischen Botschafter, der im Iran residierte. Offizielle Schulbücher bezeichnen die Schiiten bis heute als „Ungläubige“. Selbst die Ausübung ihrer religiöser Rituale ist Einschränkungen unterworfen, wenngleich diese in den letzten Jahren gelockert wurden.

Doch der Einfluss des neuen Königs ist begrenzt. Er hängt davon ab, dass das streng sunnitisch-wahabitische religiöse Establishment ihm im Geburtsland des Islam Legitimität verleiht. Und das ist zutiefst antischiitisch. In Predigten und Schulbüchern werden die Schiiten gerne mit dem Begriff „Verweigerer“ umschrieben. In einigen Fatwas werden sie gar als „Gottes Feinde“ bezeichnet, die es zu bekämpfen gilt.

Nach einem Bericht des Politikberatungsinstitutes „International Crisis Group“ (IGC) von Mitte September mit dem Titel „Die schiitische Frage in Saudi-Arabien“ haben zwei externe Ereignisse dem sunnitisch-schiitischen Verhältnis im Königreich eine neue, wenngleich gegensätzliche Dynamik verliehen. Einerseits sah das Regime, durch die Anschläge vom 11. September international unter Druck, plötzlich in den Schiiten einen Partner für politische Reformen und gegen radikale Al-Qaida-Sunniten, die den Sturz des Regimes auf ihre Fahnen geschrieben haben. Andererseits schürte die schiitische Aufbruchstimmung im Irak sunnitische Ängste in Saudi-Arabien.

Ein schiitischer Journalist fasst dies so zusammen: „Das sunnitisch-schiitische Verhältnis nimmt einen prominenteren Platz in Saudi-Arabien ein. Das ist der Irak-Effekt. Alte Themen wie Palästina werden ersetzt durch eine stärker werdende antischiitische Einstellung.“

Laut dem IGC-Bericht sind gewaltsame Zusammenstöße zwischen Schiiten und Sunniten wie im Irak in Saudi-Arabien derzeit eher unwahrscheinlich. Aber, warnt der Report: Hunderte von saudischen sunnitischen Dschihad-Kämpfern werden irgendwann aus dem Irak zurückkehren. Nicht nur offizielle saudische und westliche Einrichtungen, sondern auch die ihnen verhassten Schiiten wären dann ihr logisches neues Ziel.

KARIM EL-GAWHARY