Fidel Castro ist tot

Sein Sieg im Bürgerkrieg überraschte die Welt. 1959 zog der Revo­lutionär in Havanna ein. Fast 50 Jahre stand er an der Spitze Kubas

Kubas máximo Polarisierer

ERBE Er war Hoffnungsträger und Tyrann. „Die Geschichte wird mich freisprechen“, sagte Fidel Castro. Doch sein Traum von einer fairen Gesellschaft ist längst ausgeträumt

Anfänge der Revolution: Fidel Castro spricht zu seinen Anhängern im Januar 1959, vor dem Präsidentenpalast in Havanna Foto: Harold Valentine/ap

VON Knut Henkel

Kubas legendärer comandante en jefe ist tot. Und wie zu Lebzeiten polarisiert der Oberbefehlshaber und selbst ernannte Berufsrevolutionär Fidel Castro auch jetzt noch: Er habe die Kubaner ihre eigene Würde entdecken lassen, sagt etwa Miguel Barnet, der Vorsitzende des kubanischen Schriftstellerverbandes, der durch seine ethnologischen Romane berühmt wurde. „Er hat uns davor bewahrt zur Kolonie der USA zu werden.“

Doch für diesen eigenen, kubanischen Weg sei der Preis zu hoch gewesen, hält Guillermo Fariñas, Psychologe aus revolutionärem Haus und ein bekannter Dissident Kubas, dagegen: „Fidel Castro hat die Kubaner hintergangen, als er politische Gegner wie den General des Angolakrieges, Arnaldo Ochoa, gewaltsam beseitigte.“

Kubas máximo líder war Hoffnungsträger für die einen, Tyrann für die anderen. Das beginnt sich schon auf dem prächtigen Landgut des starrköpfigen Vaters, eines Einwanderers aus dem spanischen Galicien, abzuzeichnen. Weit im Osten der Insel, rund hundert Kilometer von Santiago de Cuba entfernt, liegt Birán, wo die sieben Kinder von Ángel Castro y Argiz und Lina Ruz González aufwachsen. Am 13. August 1926 (andere Quellen geben 1927 an) kommt dort Fidel zur Welt – und gerät schon früh mit seinem autoritären Vater aneinander.

Intelligent, konfliktfreudig

Mit gerade 13 Jahren solidarisiert sich der Sohn mit den Arbeitern, stiftet sie zum Streik an, beschimpft den durch Zuckerrohr reich gewordenen Vater als Ausbeuter und legt obendrein noch Feuer in dem Anwesen. Das berichteten ehemalige Angestellte nach der erfolgreichen Kubanischen Revolution von 1959 – und diese Aussagen passen zu denen von Lehrern und Mitschülern der Jesui­tenkollegs in Santiago de Cuba und Havanna.

Dort durchlief der intelligente und überaus konfliktfreudige Jugendliche die Schule. Sein Lehrer attestiert ihm einen ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit – und eine gehörige Portion Starrsinn. „Verlieren konnte mein Bruder schon damals nicht“, erinnert sich Raúl Castro in einem Interview. Der 2014 verstorbene Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez formulierte es so: „Fidel gibt die Niederlage nie zu und hat keinen Augenblick Ruhe, bis es ihm gelingt, die Vorzeichen umzukehren und die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln“.

Dafür gibt es viele Belege. So war der Putsch des späteren Diktators Fulgencio Batista vom 10. März 1952 eine doppelte Herausforderung für den aufstrebenden Juristen: Nicht nur die sozialen Verhältnisse wurden mit dem Umsturz quasi festgeschrieben, auch der Weg in die Politik wurde dem streitbaren Armenanwalt de facto verstellt. Dagegen zog der damals 27-Jährige erfolglos vor Gericht – und erklärte dem Diktator anschließend den Krieg: „Wenn Batista mit Gewalt die Macht an sich reißt, muss sie ihm mit Gewalt wieder genommen werden.“ Ein Jahr später, am 26. Juli 1953, griff er mit 130 Rebellen die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba an. Nur dank Glück und dem Schutz der katholischen Kirche wurden Fidel Castro und einige seiner Kameraden nicht ermordet, sondern vor Gericht gestellt.

Dort kam es zehn Wochen später zu seinem spektakulären Plädoyer: „Die Geschichte wird mich freisprechen.“ Die flammende Rede verbreitete sich auf der Insel und brachte Zulauf zu Castros „Bewegung des 26. Juli“. Sechs Jahre später, am 1. Januar 1959, hatte die „billigste Revolution der Welt“ gesiegt. Gerade mal 300.000 US-Dollar habe der Umsturz gekostet, rühmte Kubas Staatschef einmal auf einer Konferenz der Blockfreien Staaten. Damals, Mitte der 1960er Jahre, war Kubas Gesellschaftsmodell mit billigen und rationierten Grundnahrungsmitteln, kostenloser Gesundheitsversorgung und seinem unentgeltlichen Bildungssystem ausgesprochen attraktiv.

Der begnadete Rhetoriker Castro punktete überdies mit Wortwitz und Schlagfertigkeit. Er wurde zu einer Ikone der Linken – zugleich aber auch zu einem Machtpolitiker mit wenig ökonomischer Fortune. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage der Insel erfolgte 1972 die Aufnahme Kubas in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), das Wirtschaftsbündnis des sozia­listischen Blocks. Obendrein bekam Castro auch gleich noch einen Schnellkurs in Institutionalisierung verordnet – auf Geheiß der sowjetischen Führung.

Moskau wollte den eigenwilligen Mann aus Havanna lenken, nicht zuletzt um Transferrubel und Rohstofflieferungen zu sparen. Doch das scheiterte, ebenso wie die Versuche der USA, den ungeliebten Castro zu beseitigen und Kuba zurück in die US-Einflusssphäre zu führen: Die unzähligen Attentate, ein mehr als fünfzig Jahre währendes US-Handelsembargo, die Abwerbung von Medizinern und anderen Fachleuten sowie der Druck auf Kubas Handelspartner – alles vergeblich.

Die aggressive US-Politik hat die Insel in den permanenten Belagerungszustand geführt. Auch deshalb reagierte Fidel Castro mit dem markigen Satz­ „Innerhalb der Revolution: Alles! Gegen die Revolution nichts!“ Das war 1961, und damals gab es noch eine Konterguerilla und Terrorattacken aus Miami. Später, in den 1980er Jahren und 1990er Jahren, nahm der pazifistische politische Widerstand zu.

Doch der máximo líder bügelte alle Versuche, ein Referendum über die politische Zukunft der Insel aufzulegen, genervt ab: „Diese Papiere dienen höchstens als Klopapier“, entgegnete er zynisch auf die Frage eines Reporters, als Oppositionelle wieder einmal die laut Verfassung nötige Unterschriftenzahl für die Durchführung eines Referendums vorlegten.

Dem älter werdenden Staatschef unterstellten seine Kritiker Starrsinn. Castro muss zu Beginn der 1990er Jahre erleben, wie Kubas socialismo tropical mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers ins Rutschen kommt. Angesprochen auf die vielen Kubanerinnen, die sich in den Straßen Havannas prostituieren, entgegnete Castro, es seien immerhin die bestausgebildeten Huren der Welt. Ein Satz, der für ein gerüttelt Maß an machismo steht, aber auch für eine große Portion Hilflosigkeit erkennen lässt. Der Traum des comandante, aus Kuba einen weltweit agierenden Wissens- und Forschungs­standort zu formen, begann sich damals aufzulösen.

Unflexibel, abhängig

Zu unflexibel, zu starr, zu unproduktiv und zu abhängig von Hilfen aus Venezuela, Russland oder China ist Kubas ökonomisches Modell, um derart große Visionen zu tragen. Daran hat auch Raúl Castro, der 2006 die Regierungsgeschäfte von seinem schwer kranken Bruder übernahm und als ökonomischer Pragmatiker gilt, nur partiell etwas ändern können. Fidel hielt sich seither als Elder Statesman im Hintergrund, schrieb Kolumnen zur Weltpolitik und war nahezu ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Sein Traum von einer fairen Gesellschaft, wo jede und jeder nach ihrer beziehungsweise seiner Qualifikation in Würde lebt, ist längst ausgeträumt. Zu sehr mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt sind die 11,2 Millionen Kubaner, als dass sie über die Visionen des Mannes philosophieren könnten, der über 50 Jahre zu ihrem Alltag gehörte, aber daran scheiterte, seine Ideen auch umzusetzen.