LeserInnenbriefe
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Projekt „20 Prozent minus“

betr.: „Erfahrener Neuling“, taz vom 25. 11. 2016

Äh. Hallo? Sie schreiben, die SPD-Genossen in Nordrhein-Westfalen würden Martin Schulz auf Platz 1 der Landesliste setzen. Da klingt durch, dass er bereits jetzt schon vom Landesvorstand dafür gesichert sei. Das Traurige daran: Bisher kam vom SPD-Landesvorstand auch kein reger Widerspruch dazu.

Die Satzung und Wahlordnung der NRW-SPD sieht eigentlich vor, dass die Landesdelegiertenkonferenz der SPD diese Liste zusammenstellt. Die Kandidaten werden weder vom Vorstand „bestimmt“ noch (und erst recht nicht) durch Akklamation durch sie selbst.

Es mag sein, dass Martin – angesichts mangelnder Alternativen – ein passender Kandidat ist. Aber mit der momentanen Vorgehensweise wird dem Bürger und vor allem der SPD-Basis eindeutig signalisiert: Ihr da unten wählt gefälligst, was wir hier oben bestimmt haben. Und besonders freuen werden sich am Ende nach der Bundestagswahl genau die Kandidaten, die wegen Martin auf der Liste so weit nach unten gerutscht sind, dass sie es nicht in den Bundestag schaffen. Im Allgemeinen trifft es damit aufstrebende Parteimitglieder, die auch für Änderungen bereit sind. So verdrängen dann vom Vorstand gewollte „Quereinsteiger“ oben die von der Basis gewollten Quereinsteiger unten.

Und da fragt noch jemand, warum selbst langjährige SPD-Mitglieder Frust schieben? Immer „weiter so“! Bund- und Landesvorstände der SPD arbeiten eifrig am Projekt „20 Prozent minus“.

Udo Siebrasse, Gelsenkirchen

Wahnhafte Leistungsgesellschaft

betr.: „Unter den Starken die weiblichste“, taz vom 25. 11. 2016

Was hat sich Maike Brülls nur bei ihrem Bericht gedacht? Ernsthaft jetzt? Strenge Diät und mehrmals im Fitnessstudio für einen Sixpack sind in Ordnung, aber nicht, wenn man „einfach nur“ mager sein will? Man fühlt sich wirklich für dumm verkauft. Hier wird also Werbung gemacht für den Muskelwahn mit der Begründung, dass die Frau ja dann stark sei und „aufrechter durchs Leben“ geht. Über die gesundheitlichen Risiken wird – auch das sei mal angemerkt – dabei nicht gesprochen.

Ja, liebe Frau Brülls, das ist tatsächlich die neue Stufe der wahnhaften Leistungsgesellschaft. Eine Frau kann ihre Stärke auch nach außen tragen, wenn sie weder abgemagert noch durchtrainiert ist. Vielleicht kommen Sie auch irgendwann mal an den Punkt, das zu verstehen. MELANIE KÜHBAUCH, Tübingen

Perverse Medikamentenpreise

betr.: „Zu Tode gerechnet“, taz vom 26./27. 11. 2016

Erneut macht sich Heike Haarhoff zur Anwältin von Menschen, die betroffen sind von Auseinandersetzungen über Medikamentenpreise. Wieder, wie schon in ihrem Artikel vom 19. Oktober, geht es um ein Krebsmedikament. Haarhoff empört sich, dass hier Patienten zwischen die Mühlen von Pharmafirmen und Krankenkassen gerieten. Sie zitiert einen Betroffenen, einen Chefarzt und den Volkswirt Jürgen Wasem – nicht aber ein Mitglied der kritischen Community innerhalb der Ärzteschaft.

Im aktuellen Fall sahen sowohl die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft als auch der Gemeinsame Bundesausschuss keinen relevanten Zusatznutzen des Krebsmittels Regorafenib, das mit 3.400 Euro monatlich die gesetzliche Krankenversicherung belasten würde.

Ein solcher Geldbetrag soll keine Rolle spielen, wenn ein Medikament den Betroffenen nützt. Ein Blick in die medizinische Datenbank Pubmed bestätigt aber die Einschätzung der Arzneimittelkommission: Regorafenib verlängert das Leben nicht, wenn es als Third-Line-Substanz nach Versagen anderer Mittel eingenommen wird.

Es ist für einen an Krebs erkrankten Menschen furchtbar zu erkennen, wenn nichts mehr hilft. Und es ist nachvollziehbar, dass er oder sie sich an jeden Strohhalm klammert. Aber gerade die Preise neuer Medikamente gegen Krebs und Immunerkrankungen tragen zu bei, dass die Kassen jährlich über 35 Milliarden Euro für Medikamente zahlen. Unser noch immer im internationalen Vergleich solidarisches Gesundheitswesen ist von der nur noch pervers zu nennenden Preispolitik bedroht. Insofern sind Entscheidungsprozesse wie die hier von Haarhoff kritisierten dringend erforderlich. GÜNTHER EGIDI, Bremen

Komplettversagen im Falle Zyperns

betr.: „Absurdes Gezänk“, taz vom 23. 11. 2016

Nach dem aktuellen Scheitern der Gespräche auf Zypern lohnt noch einmal der Blick zurück. Auch vor 12 Jahren wurde verhandelt. Beide Teile Zyperns wollten unbedingt der EU beitreten. Als Voraussetzung dafür verlangte Brüssel eine politische Wiedervereinigung der Insel. Dieses Ziel wurde am Ende verfehlt: Die Gespräche waren zäh, aber schließlich kam es zu einer Verhandlungslösung.

Die darauf durchgeführte Volksabstimmung in beiden Inselteilen über den sogenannten Annan-Plan mündeten allerdings in ein Fiasko, da die Inselgriechen den Plan ablehnten. Die Aufnahme in die EU war ihnen jedoch vorher zugesichert worden. Der griechische Teil wurde Mitglied in der EU. Der Status des türkischen Teils blieb weiter ungeklärt. Leichtfertig hatte die EU-Verhandlungsführung ihre Einflussmöglichkeiten verspielt – und eine historische Chance blieb ungenutzt.

Man kann auch von einem Komplettversagen der europäischen Staatengemeinschaft im Falle Zyperns sprechen. Hauptverantwortlich dafür war der damalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen. Hartmut Graf, Hamburg