Traurig auch für die, die meinen, es so zu wollen
: Am Morgen des neuen 9/11

Bridge and Tunnel

vonOphelia Abeler

Zwei Wochen ist es jetzt her, dass Amerika Donald Trump zum Präsidenten gewählt hat, oder nur die Hälfte der Bevölkerung, von der angeblich aber die größere Hälfte Hillary Clinton gewählt haben will, die aber alle hassen, kurz, zwei Wochen ist es her, dass ein komplett idiotisches Wahlrecht es ermöglicht hat, dass ein frauenfeindlicher, rassistischer, ungelehrsamer und bösartiger Lügner, ein fleischgewordenes Stück Scheiße, das wahrscheinlich wegen Unqualifiziertheit nie einen Praktikumsplatz im Weißen Haus bekommen hätte, nun eben dort an die Macht kommt, und ich war froh, dass ich nicht mit meiner Kolumne dran war, denn ich hätte vor Übelkeit kaum schreiben können.

Warum jetzt plötzlich Leute auf die Idee kommen, man sollte Trump nicht mehr beschimpfen, nur weil er jetzt „president elect“ ist, weiß ich nicht – das ganze Gerede von „when they go low, we go high“ hat ja auch nichts gebracht, vielleicht sogar eher geschadet ab dem Moment, in dem Hillary Clinton das Motto übernahm. Michelle Obama konnte das überzeugend ausrufen, aber die hat ja bedauerlicherweise nicht kandidiert, obwohl sie sehr wahrscheinlich spielend die Wahl gewonnen hätte.

Am Morgen des 9. 11., dem neuen 9/11, geleiteten die Eltern von Park Slope mit rotgeränderten Augen ihre Kinder zur Schule, es wurde kaum gesprochen, und in den Fluren und Klassenräumen fiel man einander stumm in die Arme.

Eine türkische Mutter weinte verzweifelt – in die Türkei zurückzugehen, unter Erdoğan, sei bestimmt keine Option. Aber hierbleiben?

Ich war dann doch etwas beschämt, denn ich hatte mir eine Exitstrategie zurechtgelegt und Tickets für die Nachmittagsmaschine vom JFK Airport nach Düsseldorf, schon seit ein paar Wochen, schließlich hatte ich es kommen sehen und mir ein paar wichtige Termine in Deutschland in diese Woche gelegt, die eine zeitweilige Flucht rechtfertigten.

Ja, Sie lesen richtig, ich hatte es kommen sehen, obwohl ich Deutsche bin und im Demokraten-New York lebe, aber es reicht schon, die Familie meiner Nachbarin aus Louisiana zu kennen und damit einen absolut repräsentativen Teil der Amerikaner, den man aber nur zu Gesicht bekommt, wenn man mal wirklich in Flyover Country aussteigt. Später tauchte dieser Teil Amerikas als „Dumbfuckistan“ in überheblichen Internet-Memes auf, nur die demokratischen Küstenstaaten waren darin als „Amerika“ gekennzeichnet – ein grundlegendes Missverständnis dieses Landes, leider.

„Can u come over, please?“, simste meine Nachbarin. Ich fand sie am Computer, ein Fenster mit einer Flugbuchung nach New Orleans offen. „Wenn die glauben, ich höre mir zu Thanksgiving deren Triumphgeheul an, haben sie sich geschnitten“, schluchzte sie, während sie ihre Reise zum wichtigsten Familienfeiertag des Jahres stornierte. „Meiner Familie in Louisiana ist nicht klar, dass sie gerade jemanden gewählt haben, der ihr eigenes Enkelkind hasst.“

Ein Riss geht also nicht nur durchs Land, sondern auch durch die Familien. Ein Unglück mehr. Meine Nachbarin ist mit einem liberalen Juden verheiratet; dass Ivanka Trump zum Judentum konvertiert ist, halten sie und ihr Mann für einen Witz. Der 9. 11. war der Tag, an dem sie mir erstmals vom sexuellen Missbrauch ihrer Schwester durch einen Onkel erzählte. Es schmerzt sie unendlich, dass ausgerechnet ihre Schwester mit einem vehementen Verfechter des Sexisten und Grabschers Donald Trump zusammen ist. „So können wir nicht heilen“, sagt sie, „niemand kann das.“

Das Community Healing Center um die Ecke schickt eine Mail. Dort finden normalerweise Yoga- und Tai-Chi-Kurse statt. „Post election trauma support and gratitude practice“ wird dort jetzt angeboten.

Ich habe mir meine Traumabehandlung in Deutschland geholt. Zwar hat mich im ganzen letzten Jahr die Naivität der Deutschen echt rasend gemacht, die sich einfach nicht vorstellen konnten, dass die Amerikaner Trump wählen würden – doch jetzt empfinde ich den Unglauben als heilsam.

Denn was passiert ist, istunglaublich, unglaublich ungesund und traurig für alle, auch für die, die meinen, es so zu wollen. Und ich möchte glauben, dass man manche Sachen einfach nicht glauben darf, damit sie nicht wahr werden können, und der Unglaube so Berge versetzt.

Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York