Der verborgene Sprachschatz

MIGRATION Mehrsprachigkeit von Kindern aus Migrantenfamilien wird kaum gefördert. SPD und Grüne in Niedersachsen wollen dieses Know-how sichern. Die FDP applaudiert – nur die CDU warnt vor „Kitas, in denen hauptsächlich Arabisch gesprochen wird“

In Niedersachsen nicht auf dem Lehrplan, aber in Zeiten der Globalisierung immer wichtiger: Chinesisch-Unterricht Foto: Ingo Wagner/dpa

von Andreas Wyputta

In Niedersachsen wollen SPD und Grüne die Mehrsprachigkeit von Kindern aus Migrantenfamilien künftig gezielt fördern. Das geht aus einem Entschließungsantrag der beiden Regierungsfraktionen hervor, der am Mittwoch im Landtag in Hannover beraten wird. Nicht nur die „Einrichtung bilingualer Kindertagesstätten“ soll dazu unterstützt werden: SPD und Grüne fordern auch verstärkte „Angebote der Erlernung der Herkunftssprache“. Dazu müsse „die Einführung von Türkisch, Dari/Farsi, Italienisch, Russisch, Arabisch und Polnisch als zweite und dritte Fremdsprache gefördert“ werden, heißt es in dem Antrag. Perspektivisch solle die Herkunftssprache auch Abiturfach werden können.

Zur Begründung verweisen Bildungspolitiker beider Parteien auf Forschungsergebnisse etwa der Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin, die den an Schulen quer durch die Bundesrepublik herrschenden „monolingualen Habitus“ schon seit 1991 zum Thema macht. Muttersprachliche Kenntnisse von Kindern aus Migrantenfamilien würden zugunsten des Deutschen ignoriert, kritisiert die Hamburgerin – und das habe Folgen, glauben auch Sozialdemokraten und Grüne. „Sprache ist der Schlüssel zur Bildung“, betont etwa der aus Hannover-Linden stammende SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Politze. „Nur wer seine Herkunftssprache gut beherrscht, kann weitere Bildungsinhalte schnell erfassen.“

Im Einschulungsalter von sechs Jahren sei der Sprach­erwerb von Kindern egal welcher Muttersprache längst nicht abgeschlossen, sagt auch der bildungspolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Heiner Scholing. Nötig sei deshalb, den Ausbau der jeweiligen Herkunftssprache nicht nur in den Kitas, sondern auch in den Schulen zu unterstützen. „Wer die Herkunftssprache nicht beherrscht, wird erhebliche Schwierigkeiten haben, eine weitere Sprache zu erlernen“, so Scholing zur taz. Nicht ohne Grund beklagten VertreterInnen von Migrantenorganisationen, dass manche in der Bundesrepublik geborenen oder aufgewachsenen Jugendliche weder ihre Muttersprache noch Deutsch fehlerfrei beherrschten.

Unterstützt wird der rot-grüne Antrag auch von der FDP. Die Sprachkenntnisse von Kindern aus Migrantenfamilien stellten ein „wahnsinniges Know-how“ dar, das bewahrt und ausgebaut werden müsse, findet auch Björn Försterling, Bildungsexperte der Liberalen. „Wir fördern doch auch das Erlernen der englischen oder der französischen Sprache nach Kräften. Warum sollten wir da bei Türkisch oder Arabisch einen Unterschied machen?“, fragt er.

„Warum sollten wir einen Unterschied zwischen Türkisch oder Arabisch und Englisch oder Französisch machen?“

Björn Försterling, FDP-Bildungsexperte

Distanzierter geben sich die Christdemokraten. Grundsätzlich sei „Mehrsprachigkeit zwar eine große Chance“ und „herkunftssprachlicher Unterricht sinnvoll“, sagt auch Kai Seefried, deren führender Bildungspolitiker im Landtag. „Die Vermittlung der deutschen Sprache muss in unseren Kitas und an unseren Schulen an erster Stelle stehen“, poltert der Tischlermeister aber auch. „Kitas, in denen hauptsächlich Arabisch gesprochen wird, tragen nicht zur Integration bei.“

Damit versuche Seefried, auf „den Zug der sogenannten AfD“ aufzuspringen, kontert Sozialdemokrat Politze. Angst und Misstrauen seien immer ein schlechter politischer Ratgeber. „Auch wir wollen keine öffentlichen Kitas oder Schulen, in denen vornehmlich arabisch gesprochen wird“, stellt der SPD-Mann klar. Und der grüne Bildungspolitiker Scholing betont: Es gehe darum, die Förderung der Herkunftssprache aus dem „Randbereich des schulischen Angebots, also etwa in irgendwelchen AGs am Nachmittag“, herauszuholen.

Unklar bleibt, wann Niedersachsen intensiveren Unterricht überhaupt anbieten kann. Mit „einem Zeitrahmen von bis zu 15 Jahren“ rechnet der FDP-Abgeordnete Försterling. „In einem Jahr ist das nicht zu schaffen“, räumt auch Sozialdemokrat Politze ein – schließlich fehlten schon heute qualifizierte Lehrkräfte.