CIA-Folter im Visier des Weltgerichts

Justiz Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Folter in Afghanistan rücken näher

US-Militär wirbelt Staub auf: Bagram, 2003 Foto: Erik de Castro/reuters

BERLIN taz | Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wird sich demnächst mit der Frage beschäftigen, ob er Ermittlungen wegen möglicher Verbrechen durch die USA in Afghanistan aufnehmen soll. Die Anklagebehörde des Weltgerichts schrieb in ihrem gestern veröffentlichten Jahresbericht 2016, es gebe Gründe zur Annahme, dass „Folter und damit zusammenhängende Misshandlungen durch in Afghanistan stationierte US-Streitkräfte und in vom CIA betriebenen geheimen Haftanstalten“ begangen worden seien, „vor allem im Zeitraum 2003 bis 2004, aber angeblich in einigen Fällen weiter bis 2014“. Eine Entscheidung darüber, ob ein Ermittlungsverfahren beantragt wird, „steht unmittelbar bevor“.

Anders, als es in manchen Berichten dargestellt wurde, sind diese Feststellungen der IStGH-Ankläger jedoch keineswegs neu. Die Anklagebehörde prüft die Situation in Afghanistan seit 2007 und nimmt darauf seitdem in jedem ihrer Jahresberichte Bezug, einschließlich mutmaßlicher Verbrechen durch „internationale Streitkräfte“. Aber noch nie wurden die Vorwürfe so detailliert aufgeführt wie dieses Mal.

Im Jahresbericht 2014 war lediglich in allgemeiner Form von den mit Folter gleichgesetzten CIA-Verhörmethoden die Rede gewesen. Jetzt wird konkret die Zahl von 61 Folteropfern der US-Armee in Afghanistan und 27 Folteropfern der CIA in Afghanistan, Polen, Rumänien und Litauen genannt.

Die USA sind kein Mitglied des IStGH, Afghanistan aber schon – deswegen fallen in Afghanistan verübte Verbrechen in die Zuständigkeit des Gerichts. Ermittlungen des Weltgerichts sind aber nur dann möglich, wenn diese Verbrechen nicht adäquat von nationalen Gerichten behandelt worden sind. Die entsprechenden Prüfungen sind noch im Gange.

Die unübliche Aufmerksamkeit, die dieses Thema in der internationalen Öffentlichkeit jetzt erfährt, liegt nicht an neuen Erkenntnissen der Ermittler – es wurden in diesem Jahr keine neuen Erkenntnisse zu Afghanistan an Den Haag herangetragen. Sie hat damit zu tun, dass der im Jahr 2002 gegründete Strafgerichtshof stärker in der Defensive steckt als je zuvor, nachdem erstmals drei seiner Mitglieder – Burundi, Südafrika und Gambia – ihren Austritt verkündet haben. Ihre Begründung: Die Arbeit des Gerichtshofs richte sich einseitig gegen Afrikaner. Die Anklagebehörde will zeigen, dass das nicht stimmt beziehungsweise dass es nicht an ihr liegt.

Neben Afghanistan nennt der Jahresbericht 2016 Kolumbien, Guinea und Nigeria als weitere Länder, in denen eine Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen bevorsteht. In den Fällen Burundi, Gabun, britische Truppen im Irak, Palästina und Ukraine steht noch die Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts aus.

Die Anklagebehörde des Gerichtshofs prüft Afghanistan seit 2007

Es gilt als unwahrscheinlich, dass in nächster Zeit auch nur ein einziger der genannten Fälle in förmliche Ermittlungen mündet. Mehrere hochkarätige Prozesse in Den Haag nähern sich dem Abschluss, und vor dem UN-Sicherheitsrat hatte IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda vergangene Woche Libyen als ihre Priorität für 2017 genannt – einschließlich Verbrechen der Milizen des „Islamischen Staates“ (IS) sowie Übergriffe gegen Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Schon dafür braucht der Strafgerichtshof zusätzliche Mittel von der UNO.

Außerdem tritt Anfang 2017 die vor mehreren Jahren beschlossene Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs von Den Haag auf den Straftatbestand des Angriffskriegs in Kraft. Das eröffnet ein ganz neues und sehr weites Feld für die Weltjustiz. Dominic Johnson