Schwer unter einen Hut bekommen

PANIKATTACKE In Hamburg startet das Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“, zugleich veröffentlicht Benjamin von Stuckrad-Barre das Buch „Udo Fröhliche“. Gibt Lindenberg als Thema wirklich so viel her?

Im Musical gibt Udo Lindenberg nur eine schwache Figur ab. Aber die steht immerhin gleich mehrfach auf der Bühne Foto: Tine Acke/dpa

von Klaus Irler

Dunkler Hut, schwarze Brille, schwarzes Sakko, dünne Beine in engen schwarzen Hosen. Lange dünne Haare, die auf die Schultern fallen. Zigarre. Diese Figur kennt jeder. Sie heißt Udo Lindenberg, wie der Mensch, der sich die Figur ausgedacht hat und sie verkörpert.

Viel lässt sich mit der Udo-Figur anstellen. Aber wie vielfältig lässt sie sich wirklich verbraten, bevor sich das Publikum abwendet? Ginge Udo als Computerspiel? Schwierig. Udo als Faschingskostüm? Bereits im Handel. Udo im Spielfilm? Nur in Nebenrollen. Udo als Buch? Das neueste wurde am Freitag vorgestellt und ist von Benjamin von Stuckrad-Barre. Und Udo als Musical? Seit Donnerstag läuft es im Stage-Operettenhaus an der Reeperbahn – und ist ziemlich holprig.

Aber uraufgeführt wurde das Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ ohnehin bereits 2011 in Berlin. Schließlich erzählt es eine Berlin-Geschichte: Es geht um das FDJ-Mädchen Jessy, das Udo bei dessen Auftritt in Ostberlin im Oktober 1983 kennenlernt und in das er sich verliebt. Ein Paar kann aus den beiden nicht werden, das verhindert die Mauer. Also fährt Jessy zu Lindenbergs Konzert 1985 in Moskau. Die beiden verbringen eine Nacht miteinander, in der Lindenberg einen Sohn zeugt, den er erst nach dem Fall der Mauer in Hamburg kennenlernt.

Geschichte ohne Richtung

Die Auftritte 1983 und 1985 hat es wirklich gegeben. Den Rest der Geschichte haben sich Udo Lindenberg, Autor Thomas Brussig („Sonnenallee“) und der künstlerische Leiter des St.-Pauli-Theaters, Ulrich Waller, ausgedacht. Das Gemisch aus Fakten und Fiktion, vor allem aber die Kombination aus Ost-West-Tragödie und Udo-Huldigung zerfasern das Stück. Die Richtung fehlt. Die Hauptfigur ist eigentlich Jessy. Aber der Titelheld ist Udo.

Optisch äußert sich das durch einen riesigen Udo-Hut, der über der Bühne schwebt. Wenn Udo auftaucht, wird der Hut auf die Bühne heruntergelassen. Wenn er weg ist, schwebt der Hut über allem wie ein Auge Gottes. Unter dem Hut entfaltet das Stück die DDR-Wirklichkeit, mit der Jessy zu kämpfen hat: Es gibt einen Verehrer, der seine Karriere als Hammerwerfer auf Doping begründet; einen Bruder, der raus will aus der DDR; einen Vater, der sich ständig duckt vor der Obrigkeit; die Stasi, die Jessy erpresst. Und vor allem gibt es das Problem, einen Menschen jenseits der Mauer zu lieben.

All das erzählt Regisseur Ulrich Waller mit historischer Ausstattung und dokumentarischen Filmeinspielungen. Die DDR-Tristesse wird kontrastiert mit gut choreografierten Tanzszenen: Junge Menschen tanzen westlichen Rock ’n’Roll und östlichen Lipsi in Blauhemd-Uniform. Es ist ein Wettstreit der Tanzstile und natürlich gewinnt der Westen, musikalisch vertreten durch Lindenbergs Blues-Rock-Nummer „Boogie Woogie Mädchen“.

Inhaltlich spielt Lindenberg dabei im ersten Akt eine untergeordnete Rolle. Erst im zweiten Akt sieht und hört man ihn öfter, wobei er als schwer beschäftigter Sex-and-Drugs-Rockstar eine schwache Figur abgibt. Udo ahnt nichts von seiner Vaterschaft und hat Jessy längst vergessen. Der Liebesgeschichte tut das gar nicht gut. Mit einer anderen männlichen Hauptrolle würde dieser Abend runder laufen, hätte aber vermutlich ein Marketing-Problem.

Und die Musik in diesem Musical ist nicht immer von Lindenberg. Natürlich gibt es einige große Hits wie „Hinterm Horizont“, „Sonderzug aus Pankow“ oder „Alles klar auf der Andrea Doria“. Aber dazwischen gibt es immer wieder gesichtslosen Pop-Rock, funktionale Musik, von der nichts im Gedächtnis bleibt.

Die Sache mit dem Gesang stellt die „Hinterm Horizont“-Macher vor ein Problem. Schließlich brauchen große Gefühle große Stimmen, und der Original-Udo hat sich nun mal einen Namen gemacht mit Nuschel-Gesang im Umfang von fünf, sechs Tönen. Lindenberg-Darsteller Alex Melcher löst das Problem, indem er beides macht: Mal imitiert er das Original, mal singt er, wie es ein professioneller Musical-Darsteller tut, also auch hoch und inbrünstig, wenn es gefühlig wird.

Die Kombination aus Ost-West-Tragödie und Udo-Huldigung zerfasert das Stück

Echtmensch und Kunstfigur

Schauspielerisch zeigt Melcher, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Kunstfigur und dem Menschen, der sie verkörpert. Melcher spielt mal den „Hallöchen, keine Panik“-Udo, mal einen jungen Mann, der die Dinge optimistisch und unbedarft auf sich zukommen lässt. Zu Jessy sagt dieser junge Mann: „Du machst hier Bekanntschaft mit einem, den ich genauso wenig kenne wie du.“ Ein Problem wird daraus nicht, aber immerhin glaubt hier niemand, dass Udo Lindenberg wirklich so ist, wie er vorgibt zu sein.

Anders ist das bei Benjamin von Stuckrad-Barre und dessen neuem Buch „Udo Fröhliche“. Das ist aufgebaut wie ein Lexikon zu Themen wie Alkohol, Bildung oder Doppelgänger und aufwändig gestaltet wie ein Fanzine. Also bunt, voll mit Fotos und Dokumenten aus Lindenbergs Archiv, wunderbar chaotisch im Layout.

Zu lesen gibt es kurze feuilletonistische Texte, in denen Stuckrad-Barre Lindenbergs Leben erzählt und popkulturell einordnet. Im Kapitel „Selbsterfindung“ schreibt er: „Der Udo, den wir heute kennen, ist ein bildhauerisches Werk des jungen Udo, der sich mit den Jahren ganz dieser Kunstfigur anverwandelte, bis sie keine mehr war und vollkommene Übereinstimmung erreicht war zwischen Echtmensch und Kunstfigur.“

Den Glauben, dass der Star auf der Bühne und der Mensch dahinter identisch seien, haben eh nur Fans – vor allem solche unter 15. In diesem Punkt ist das Musical schlauer als das Buch.

„Hinterm Horizont“: bis Sommer 2017, Stage-Operettenhaus

Benjamin von Stuckrad-Barre: „Udo Fröhliche: Das Lindenberg-Lexikon von Alkohol bis Zigarre“, Axel Springer, 224 S., 14,90 Euro