Die versehrten Clowns

Theater Der junge Regisseur Antú Romero Nunes ignoriert bei seiner Inszenierung von Shakespeares „Richard III.“ die naheliegenden Anknüpfungspunkte

Wie aufgezogene Spielfiguren trippeln sie auf die Bühne, die Prinzen, Herzöge und Ladys, der ganze Hofstaat um König Eduard IV. Nur einer trippelt nicht, er kommt angewetzt wie ein Bluthund und trommelt auf einer mannshohen, quer gelegten Taiko-Trommel, so wie es die japanischen Samurai vor ihren Angriffen taten. Der Trommler ist Herzog Richard, und sein Angriff gilt der Krone Englands. ­Richard will um jeden Preis selbst König werden.

Herzog Richard ist ein Ausbund an Skrupellosigkeit, er mordet, intrigiert und lügt, um sein Ziel zu erreichen. Wie er das macht, hat William Shakespeare in seinem Stück „Richard III.“ aufgeschrieben. Angesiedelt ist das Drama in den Jahren 1471 bis 1485. Am Hamburger Thalia Theater inszeniert der 33-jährige Regisseur Antú Romero Nunes den Stoff, dessen Aktualität von verschiedenen Seiten bestätigt wird: In der FAZ zeigte kürzlich der amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt, was sich aus dem Drama lernen lässt über die Umstände, die dazu führen, dass in einer großen Nation ein Psychopath an die Macht kommt. Ferner ist „Richard III.“ eine Blaupause für die sehr angesagte TV-Serie „House of Cards“, deren Protagonist Frank Underwood als Wiedergänger Richards angelegt ist. Und es gibt die mehr oder weniger schlüssigen Vergleiche zwischen Richard und Politikern wie Donald Trump oder Wladimir Putin, die Richard zumindest in puncto Machtgeilheit ähnlich sind.

Die Möglichkeiten, an diese aktuellen Bezüge anzudocken, hat Regisseur Antú ­Romero Nunes konsequent ignoriert. Auf eine karge, schwarze Bühne schickt er einen Hofstaat, der weder der Shakespeare-Zeit noch dem Heute entstammt, sondern einen eigenen Kosmos bildet: Die Kleider und Frisuren sind historisch geerdet, aber futuristisch verfremdet, wie bei „Star Wars“. Vor allem aber tragen die Adeligen Mullbinden um den Kopf wie Kriegsversehrte. Alle haben Schminke im Gesicht wie Clowns.

König Richard räumt nun Konkurrent um Konkurrent aus dem Spiel, indem er anschwärzt, fleht, droht und mordet. Dabei wechselt er ständig sein Gesicht, ist im einen Moment cholerischer Tyrann, im nächsten jungenhafter Sympath mit gewinnendem Lächeln. Mal zwingt ihn seine angeborene Behinderung zum Humpeln, mal tänzelt er, mal ist er Teil des Spiels, dann wieder ein Conférencier, der ironisch durch das Geschehen führt. Sein Hemd wird im Lauf des Abends immer roter vom Blut. Sein Thron ist die japanische Trommel – als Symbol eines permanenten Kriegszustandes.

Der Schauspieler Jörg Pohl legt bei seiner Richard-Darstellung eine beeindruckende Virtuosität an den Tag. Sein Richard ist ebenso wenig greifbar wie es seine Manöver zur Machtergreifung sind. Und ebenso wenig wie die Wände des Schlosses, die dargestellt werden durch schwarze Stoffbahnen, die von der Decke hängen, sich manchmal um sich selbst drehen, im Wind wehen und nie eines sind: stabil und verlässlich.

Das Morden durchsetzt Regisseur Nunes regelmäßig mit einer slapstickhaften Komik. Da soll beispielsweise ein Herzog von Killern umgebracht werden, aber die Killer sehen aus wie Asterix und Obelix und stehen sich gegenseitig im Weg. Wenn sie den Herzog erstechen, steht der immer wieder auf. Nunes’Talent besteht darin, die Lacher und die Tragödie so zusammenzuführen, dass beide nebeneinander bestehen können. Versehrte Clowns eben.

Auch das Bild des Tyrannen als böser Clown leuchtet ein: Beide sind ein Angriff auf das bestehende Ordnungsgefüge und beide sind Gegenfiguren. Wie Richard vom Clown zum bösen Clown wird, ist für die Menschen am Hof nicht immer gleich offensichtlich. Dennoch ist die Aussagekraft des Bildes begrenzt. Sie reicht nur so weit, dass der Shakespeare-Text eine gewisse Leichtigkeit bekommt – und die Titelrolle ihren Facettenreichtum.

Nicht ganz so unbekümmert sieht übrigens der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt die Sache mit den Soziopathen an der Macht. Er sieht den Hofstaat respektive die versehrten Clowns als Beispiel für eine „Nation der Möglichmacher“, die mal aus Naivität, mal aus Opportunismus, mal aus Angst zulassen, dass der Soziopath sich durchsetzt. Klaus Irler

„Richard III.“ am Thalia Theater Hamburg, 12. und 13. November