Die Königin der Herzen

BERLIN-IKONE Vor 100 Jahren wurde die Büste der Nofretete gefunden. Seitdem ist sie zu einer der beliebtesten Berlinerinnen geworden. Vier Annäherungen an eine aufregende Frau

■ Das Ägyptische Museum und die Papyrussammlung Berlin eröffnen heute Abend zum 100. Jahrestag der Entdeckung der Büste die Sonderausstellung „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete“. Die Schau ist von Freitag bis zum 13. April im Neuen Museum zu sehen.

■ Neben der Büste der Pharaonengattin werden erstmals Hunderte bisher noch nie gezeigte Schätze von den damaligen Ausgrabungen vorgestellt – darunter Amphoren und Vasen, Vorratsgefäße und wertvoller Schmuck. Der Nofretete wird eine Bronze-Replik zur Seite gestellt. „Wir wollen, dass der Besucher die Schönheit der Büste auch durch die Hände erleben kann“, sagt Ausstellungsarchitekt Noel McCauley. (dpa)

Der Star

Es besteht kein Zweifel: Nofretete ist der Popstar des Neuen Museums. Man geht dort nicht einfach rein und guckt sich eben mal die Büste an. Nein, der Besuch gleicht einer Audienz. Einen langen Gang gilt es zu durchqueren, und am Ende, irgendwo im Halbdunkel, wartet dann Nofretete. Sie steht exakt im Zentrum eines hohen, leeren Kuppelsaals. Das Dunkelgrün der Saalwände schluckt das spärliche Licht. Das Einzige, was leuchtet, ist die Dame selbst.

Dort auf dem Podest, von den Händen der Fans durch einen Glaskasten abgeschirmt, thront sie. Mit ihrem schlanken Hals und einer Nase, gerader als die Landebahn in Tegel. Ihr linkes Auge ist weiß, es guckt nach innen. Mit dem rechten blickt sie klug nach vorn. „Das, liebe Kinder, ist die Schönheit“, erklärt eine Mutter ihren Töchtern. Mit ihren Kindergesichtern kommen sie ganz nah ran und atmen die Glasscheibe an. Das ruft sofort Nofretetes Bodyguards auf den Plan, die die Büste flankieren. „Zurücktreten bitte“, mahnen sie. Das älteste Mädchen will es jetzt ganz genau wissen: „Wie teuer ist die Nofretete?“, fragt sie einen Bodyguard. Mit regungslosem Gesicht und vor dem Bauch verschränkten Armen sagt der nur: „Unbezahlbar!“

Wer nun denkt, Nofretete sei ein publikumsferner Star, der irrt: Im Abseits, gleich am Eingang des Kuppelsaals, wird eine zweite Nofretete aufgestellt. Ein Double aus Bronze, das berührt werden darf, von Blinden, kleinen Mädchen und allen anderen, die noch näher ranwollen. XLA

Das Postergirl

Es gibt eine Frauengeneration, die hätte zum Gymnasium gehen, studieren, einen Selbstverwirklichungsjob bekommen können. Beinahe. Stattdessen wurde sie: Hausfrau. Das Geistige, das Belesene, es bekam deshalb einen anderen Ort, und bisweilen hatte es ein auffälliges Gesicht. Bei uns war es das Gesicht der Nofretete, und die hing hinter der Tür zum Esszimmer. Wenn meine Mutter sich auch als Letzte an den Tisch setzte und die Tür zur Küche schloss, um die schmutzigen Töpfe wenigstens nicht zu sehen, blickte uns Nofretete einäugig an. Nofretete war unser Kulturdenkmal für den Kulturwillen einer verhinderten Akademikerin.

Und das kam so: Alles, wirklich alles hat meine Mutter gelesen über die Königin, die Ausgrabungen, die Entdecker von der Deutschen Orient-Gesellschaft. Mama war unsere familiäre Deutsche Orient-Gesellschaft, worüber wir uns gern lustig machten. Bis ich 1988 in der elften Gymnasiumsklasse jenen Standardbesuch in Berlin machte und – damals noch in Dahlem – vor Nofretetes Büste stand. Und tatsächlich erschauerte. Das Plakat wurde gekauft und sogar unzerknautscht nach Ostwestfalen geschafft. Nofretete überbrachte uns die Botschaft, dass auch eine belächelte hausfrauliche Kulturreligion einen auratischen Kern hat. UWI

Die Schöne

„Wie teuer ist die Nofretete?“, fragt ein Mädchen. Mit regungslosem Gesicht antwortet der Bewacher: „Unbezahlbar!“

„Thomas sagt, ich bin schöner als du.“ – „Der hat keine Ahnung. Nofretete bist du jedenfalls nicht.“ Ich war 13 Jahre alt, als ich in diesen Streit zwischen zwei Freundinnen geriet. Beide waren in Thomas verliebt, und sein Entscheidungskritierum war offensichtlich gutes Aussehen.

Wer Thomas gekriegt hat, weiß ich nicht mehr. Seitdem aber kenne ich Nofretete. Zu Hause griff ich zum Lexikon. Nofretetes Bild war klein, viel war nicht zu erkennen. Aber eines war mir sofort klar: So eine Wahnsinnsschönheit ist die nicht!

Dieser komische Pott auf dem Kopf, das matschige Auge, diese Segelohren. Völlig überschätzt. Trotzdem schien Nofretete als Gradmesser für äußere weibliche Befindlichkeit gesetzt; den Vergleich mit der ägyptischen Pharaonengattin sollte ich noch häufig hören.

Als ich vor langer Zeit in Kairo war, führte mich mein erster Weg direkt ins Ägyptische Nationalmuseum am Rande des Tahrirplatzes. Treppe hoch, geradeaus, genau da sollte sie stehen. Und da stand sie auch – unter Glas und kleiner und viel blasser, als ich erwartet hatte. Genau, dachte ich, viel zu viel Gewese um eine Gipsbüste. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Kairo nur eine billige Kopie hatte. SIS

Die Weltbekannte

■ Zwischen 1911 und 1914 erfolgten im ägyptischen Tell al-Amarna südlich von Kairo unter Leitung des Archäologen Ludwig Borchardt Grabungen. Im Zentrum stand der Bereich des Stadtareals von Achet-Aton, deren Ruinen Amarna genannt werden. Die Stadt war Residenz des Königspaares Echnaton (1351–1334 v. Chr.) und Nofretete.

■ Am 6. Dezember 1912 wurde die Büste der Nofretete in den Überresten einer Werkstatt des Bildhauers Thutmosis gefunden. Der Berliner Kaufmann James Simon, der die Ausgrabung finanziert hatte, schenkte die Büste 1920 dem Ägyptischen Museum in Berlin.

■ Die Büste wurde erstmals 1923 gezeigt. 1945 wurde sie von den Alliierten beschlagnahmt, 1965 kehrte sie nach Berlin zurück. Seit dem Jahr 2009 ist sie im Neuen Museum platziert. (dapd)

Natürlich ist Nofretete nicht nur ein Berliner Phänomen. In der Berlinausgabe des „Lonely Planet“-Reiseführers ist die Büste der ägyptischen Pharaonengattin Teil eines perfekten Tages: Aufwachen im Hostel in Mitte, biodynamisches Frühstück in der Nachbarschaft, dann Museumsinsel mit der Büste als Höhepunkt, um schließlich den Tag mit Kuchen am Kollwitzplatz und Bier und Schweinebraten zum Abendessen ausklingen zu lassen.

Auch in der Blogosphäre ist Nofretete angekommen: Während sich der deutsche Nofretete-Diskurs meist an Schönheit und kulturhistorischer Bedeutung entlanghangelt, herrschen im Internet Fragen nach der Rückgabe der Büste und Hitlers Plänen für Germania vor, in dem ein Ägyptisches Museum mit Nofretete im Zentrum eine herausragende Rolle spielte. Ein amerikanischer Ägyptologe hat der Hitler-Nofretete-Verbindung gar ein ganzes Blog gewidmet und gibt darin allerlei Verschwörungstheorien zum Besten. Beispiel: Angeblich hat sich „der Fuehrer“ einen Gipsabdruck der Nofretete machen lassen und stundenlang fasziniert davorgesessen.

„Queen of the Chavs“ fiel hingegen der britischen – und meist wenig deutschenfreundlichen – Boulevardzeitung Sun beim Anblick der Büste ein: Nofretete soll sich nur mit einem sogenannten Croydon facelift öffentlich gezeigt haben. Dabei werden die Haare mit großer Kraft zurückgebunden, sodass die Stirn durch die damit verbundene Dehnung von sämtlichen Fältchen befreit wird. Diese schmerzhafte Methode der Hautverjüngung gilt in Großbritannien als ein Erkennungszeichen für sozial benachteiligte Milieus – ebenjener Chavs –, denen seit einiger Zeit mit regelrechtem Hass begegnet wird. JÖW

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