„Ich wünschte, ich könnte diese Regierung abtreiben“

Polen Erneut demonstrieren Frauen am Montag gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts

„Bischöfe, haltet euch raus aus meiner Gebärmutter!“

Helena, Demonstrantin in Warschau

Aus Warschau Gabriele Lesser

Zwar sollen Polinnen demnächst auch Kinder zur Welt bringen, die „zum Sterben verurteilt sind, sodass sie getauft und beerdigt werden“ können, doch am Montag wollte Jarosław Kaczyński seine grausame Forderung nicht wiederholen. Der Frauenprotest in über 100 Städten Polens verschloss dem Vorsitzenden der national-populistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit den Mund.

Sylwia überragt alle anderen Demonstrantinnen. „Es kommen immer mehr“, freut sich die 19-Jährige nach einem Rundblick über die „Bratpfanne“, dem Platz vor der Warschauer Metrostation Centrum. Mit ihrer Mutter Helena steht sie in der langen Schlange vor einem schwarzen Zelt, um die Frauen-Petition an die national-populistische Regierung zu unterschreiben.

Ein junger Mann, ebenfalls in Schwarz gekleidet, verteilt solidarisch Flugblätter mit dem Text der Petition: „Nein zu Verachtung und Gewalt gegen Frauen!“ steht an erster Stelle, dann „Nein zur Einmischung der Kirche in die Politik“ und „Nein zur Politik in der Schule“. In über 100 Orten Polens demonstrieren am Montag aufgebrachte Frauen.

Helena, die noch vor zwei Jahren Mathematik und Physik an einem Warschauer Gymnasium unterrichtete, empört sich: „Unser Land verwandelt sich immer mehr in eine katholische Diktatur. Die Priester reden uns sogar in unseren Unterricht rein, es muss gebetet werden, überall hängen Kruzifixe.“

Die Rentnerin atmet tief durch: „Gut, dass die Polinnen endlich solidarisch zusammenstehen und für ihre Rechte demonstrieren.“ Die Schlange rückt weiter vor. Noch fünf Frauen, dann wird sie die Petition unterschreiben können.

Ihre Tochter Sylwia, die ebenfalls Mathematik-Lehrerin werden will, nickt. „Wir dachten, wir wären frei – nach dem Kommunismus, den ich nicht mehr erlebt habe. Meine Eltern und Großeltern haben für meine Generation die Freiheit erkämpft. Nun will die Regierung Polens mit der katholischen Kirche die Zeit zurückdrehen.“

Sie holt ein Plakat aus der großen schwarzen Stofftasche. „Das trage ich nachher auf der Demo vor dem Kulturpalast“, sagt sie und hält das Plakat in die Höhe: „Ich wünsche, ich könnte diese Regierung abtreiben!“ Ihre Mutter will nicht zurückstehen: „Hier ist mein Plakat“, ruft sie gegen den enormen Lärm an: „Das freie Polen ist eine Frau!“, liest sie vor und setzt hinzu: „Ich hätte auch schreiben können „Bischöfe, haltet euch raus aus meiner Gebärmutter!“.

Sie greift nach einem Kugelschreiber, um die Frauenpetition zu unterschreiben. „Wie viele Unterschriften haben wir schon?“, fragt sie. „Über viertausend!“ Dann greift sich Sylwia den Stift und unterschreibt.

Plötzlich wird es laut. Pro-Life-Anhänger mit Plakaten, auf denen Hitler neben in Blut schwimmenden Föten zu sehen ist, blasen mit Trillerpfeifen und Vuvuzelas in Megafone, die an Lautsprecher angeschlossen sind. Einige Frauen fordern die Pro-Life-Männer auf, die Frauendemo zu verlassen und die Megafone auszuschalten.

Doch Polizisten mit schusssicheren Westen stellen sich vor die Pro-Life-Männer. „Das ist unsere Demo“, schreit eine junge Demonstrantin und versucht die Lautsprecher umzuwerfen. Doch die Polizisten stehen aufseiten der Männer, die Frauen den Stinkefinger zeigen. Sylwia und Helena gehen zu der Pro-Life- und Polizistengruppe, zeigen den Männern das Plakat „Ich wünsche, ich könnte die Regierung abtreiben“ und beginnen zu skandieren: „Feiglinge, Feiglinge!“, bis alle Frauen einfallen: „Feiglinge, Feiglinge!“