Ein Land im Klimarausch

MAROKKO Von der UN-Konferenz wollen viele profitieren: die Regierung, Wissenschaftler, Aktivisten und der Tourismus

Solaranlage in der marokkanischen Stadt Quarzazate Foto: Abdeljalil Bounhar/ap/picture alliance

AUS MARRAKESCH UND RABAT Juliane Schumacher

Der Taxifahrer weiß Bescheid. „Das ist für die Umwelt“, sagt er, während er an langen Reihen von Flaggen vorbeifährt, auf denen das Symbol der UN-Klimakonferenz prangt: eine Blume mit blauen und grünen Blütenblätterm. „Die beraten, wie sie die Erde schützen.“

Er ist nicht der Einzige. Dass in Marrakesch am Montag die Konferenz beginnt, ist nicht zu übersehen. Die ganze Stadt wird umgepflügt. An jeder Straßenkreuzung hängen Plakate auf Englisch, Spanisch, Arabisch oder in der Berbersprache Tamazight. Gigantische Schilder weisen den Weg zum Konferenzzentrum und den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Arbeiter verlegen in den Parks neue Wege und polieren die Straßen, schrauben Solarzellen auf Dächer und pflanzen eilig Blumenrabatten entlang der Routen, die zum Konferenzzentrum führen. Selbst die Pferdekutschen, ein Wahrzeichen der Stadt, haben das Logo der Konferenz auf ihre Räder geklebt bekommen.

„Das ist eine Chance für Marokko und Marrakesch, seine Fähigkeit unter Beweis zu stellen, konkrete Projekte im Umweltsektor umzusetzen“, erklärte Ahmed El Moutassadek, der im Rathaus von Marrakesch für Umweltfragen zuständig ist, gegenüber Journalisten. Dass die Konferenz eine Chance ist, sehen viele in Marokko so. Nicht unbedingt nur für ihr Land, sondern dafür, ihren Anliegen neue Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Gelegenheit, dass das Land für einen Moment im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit steht, will keine Gruppierung verpassen.

Bei den Protesten, die vergangene Woche nach dem Tod eines Fischverkäufers in einer Müllpresse für einige Tage aufflammten und daran erinnerten, dass die Arbeits- und Perspektivlosigkeit vor allem unter Jugendlichen groß ist, hielten die Demonstrierenden Plakate in die Kameras: „Willkommen zur COP22. Hier werden Menschen zerquetscht.“ Die Aufmerksamkeit internationaler Medien war ihnen sicher.

Das Vorhaben: Die marokkanischen Gastgeber haben das Treffen zur Klimakonferenz der Taten ausgerufen: In Marrakesch beraten ab diesem Montag Vertreter aus knapp 200 Ländern über die Umsetzung des Pariser Weltklimavertrags. Vor knapp einem Jahr hatte sich die Weltgemeinschaft in Paris darauf verständigt, die gefährliche Erderwärmung mindestens auf "deutlich unter 2 Grad" im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Nun muss dieses Ziel in konkrete Schritte und Zeitpläne übersetzt werden.

Der Auftakt: Die zweiwöchige Konferenz beginnt mit einer Eröffnungssitzung, an der auch UN-Klimachefin Patricia Espinosa und Marokkos Außenminister und Konferenzleiter Salaheddine Mezouar teilnehmen. (dpa)

Freuen dürfen sich WissenschaflerInnen und AktivistInnen, die im Land zu Umweltthemen arbeiten. Selten haben sie soviel Aufmerksamkeit für ihre Arbeit bekommen. Überall finden im Vorfeld der Konferenz Kolloquien und Workshops statt. In der Universität in Rabat hängen Poster von Diplom- und Doktorarbeiten vor dem Sitzungssaal, drinnen drängen sich Studierende, Männer im Anzug, Frauen in eleganten Röcken.

Ein junger Jurist analysiert den Pariser Vertrag und schließt mit dem Hinweis, dass der Verweis auf Klimagerechtigkeit in der Präambel des Vertrags der wichtigste Punkt sei – darauf müsse man bei weiteren Verhandlungen Bezug nehmen. Im nächsten Vortrag zeigt der Referent Karten und erklärt, wie der Klimawandel die marokkanische Küste verändern wird.

„Wir sind gut vorbereitet“, freut sich ein Mitarbeiter der Forstbehörde. Seit Jahren werde in Marokko intensiv geforscht, Daten und Ideen zur Anpassung an den Klimawandel liegen bereit. Nun gehe es darum, die entsprechenden Gelder zur Verfügung zu stellen. Für die marokkanische Regierung ist die Konferenz die Gelegenheit, sich als Vorreiter im Klimaschutz zu präsentieren.

Keiner will verpassen, dass das Land im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit steht

Freuen darf sich die Tourismusbranche. Die unsichere Lage in der Region hat auch Marokko in Mitleidenschaft gezogen. Während der Konferenz sind Marrakeschs Hotels ausgebucht, selbst in den Badeorten an der Küste freut sich eine Hotelbesitzerin: „Die Konferenz geht ja über ein Wochenende. Da werden sicherlich viele einen Ausflug ans Meer machen und kommen zu uns!“

Kritik an den Kosten der Konferenz gibt es indes kaum, auch nicht außerhalb der Medien. Dort nutzt eine Gruppe die Gelegenheit für eine Kampagne für die Freischaltung von Voice over IP-Technologien. Skype & Co. sind in Marokko seit Monaten blockiert. Die nationale Telefonbehörde gibt fehlende Lizenzen an, Grund sind jedoch wohl eher sinkende Gewinne der großen Telefonanbieter.

Nun funktionieren die Dienste auf einmal wieder: „An alle Konferenzteilnehmer“, heißt es in einer Nachricht auf Twitter und Facebook, „wir Marokkaner dürfen Onlinedienste nur nutzen, weil ihr da seid. In dem Moment, wenn ihr das Land verlasst, wird der Bann wieder installiert.“ Vielleicht ist dem ja nicht so – dann hätte die Konferenz jenseits von den Beschlüssen schon einen ersten Erfolg.