Das Ding, das kommt
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Im Rollstuhl sitzt beim Theater Klabauter ein Drittel des Ensembles. Auf ihre Behinderung lassen sich die Akteur‘innen nicht reduzieren. Diese Woche feiern sie das Jubiläum der eigenen Bühne Foto: SORG Rollstuhltechnik

Viel mehr als Alltags-Experten

Dass Lars Pietzko nicht bloß ein brabbelnder Passagier, sondern ein Schauspieler ist, der einen fertigen Text singt und spricht; und der Seifenblasen blasende Amon Nirandorn neben ihm ein Kollege ist: Ob es die Passagiere in der U-Bahn-Linie 3 wirklich merken werden? „Der Warteführer“ heißt die unscheinbare Performance, in der Pietzko im Rollstuhl sitzend mitten in der U-Bahn über die Vorzüge und Tücken des Wartens, über Zeitoptimierung, Entschleunigung und das Nichtstun sinniert.

Wer hier spielt und wer nur vorbei kommt, wo die Realität aufhört und die Fiktion beginnt, wo die Grenze zwischen Alltagsraum und Bühne liegt, all das ist in der Performance im urbanen Raum nicht mehr eindeutig erkennbar, die das freie Hamburger Theaterduo „Die Azubis“ in Zusammenarbeit mit dem inklusiven Theater Klabauter entwickelt hat.

Bei dem seit ein paar Jahren in Mode gekommenen – und ebenso lange als ungenügend kritisierten – Begriff des „inklusiven Theaters“ verwischen die Grenzen zwischen Künstler*innen mit und ohne Handicaps. Unklar ist darum, was der Begriff eigentlich bezeichnet: Wenn Schauspieler*innen mit Behinderungen nicht mehr nur als Expert*innen des Alltags auf ihre Behinderung reduziert werden und an der Entwicklung von Theaterproduktionen gleichberechtigt mitwirken? Wenn sie selbst die Regie übernehmen? Wenn sie mit „nicht behinderten“ Ensem­bles und Künstler*innen kooperieren? Wenn ihre Arbeit nicht länger als eine Sonderabteilung des Theaters verstanden wird?

Im Hamburger Theater Klabauter jedenfalls arbeiten seit 18 Jahren rund zwölf Schauspieler*innen mit Behinderungen professionell und hauptberuflich, sind fest engagiert. 1998 ist das Ensemble in Zusammenarbeit mit der Dia­konie-Stiftung Rauhes Haus entstanden und der „Individuellen Arbeitsbegleitung“ angegliedert, die zur Behindertenhilfe gehört. Das Ensemble entwickelt eigene Stücke oder bearbeitet klassische und zeitgenössische Texte neu, ist Mitglied im Dachverband freier darstellender Künste Hamburg und beteiligt sich am Programm „Theater und Schule“. Ein professionelles, ernst zu nehmendes Theater eben.

Im HamburgerTheater Klabauter arbeiten zwölf Schauspieler*innen mit Behinderungen hauptberuflich

Seit zehn Jahren hat es auch eine eigene Spielstätte in der Nähe des Berliner Tors, 100 Plätze hat das Theater. Diese Woche wird das Spielstättenjubiläum gefeiert, mit Eigenproduktionen und Gastspielen befreundeter Künstler*innen wie den „Azubis“, der Minotauros Kompanie und dem Ensemble „Meine Damen und Herren“, mit einem Tanz- und Bewegungsworkshop, einer Fotoausstellung und Straßenaktionen im Stadtteil. Matt

bis 10. 11., Theater Klabauter, Jungestraße 7a, Hamburg

Infos und Programm: www.theater-klabauter.de