Europaküche Es könnte seine Gründe haben, warum man finnisches Essen außerhalb seines Heimatlandes selten antrifft. Doch es gibt Hoffnung – am anderen Ende des Kontinents
: Stockfisch sucht Fahrrad

Illustration: Juliane Pieper

Von Philipp Mausshardt

Als 15-jähriger Mensch sollte man mit seinen Eltern nicht mehr in den Urlaub fahren. Es geht meist schief. Die Interessenlage ist einfach zu verschieden. Mich schleppten meine Eltern damals nach Mittelfinnland. Ich war gerade an Mädchen und Mopeds interessiert, aber nicht an einsamen Höfen, die an noch einsameren Seen lagen und wo man den ganzen Tag außer einem einsamen und betrunkenen Bauern niemanden zu Gesicht bekam.

Ich will den Finnen nicht zu nahe treten. Wahrscheinlich ist es ein wunderschönes Land mit sehr freundlichen Menschen. Mir kam es damals ganz anders vor: von Gott und allen guten Geistern verlassen, abweisend und sterbenslangweilig. Und dann dieses Essen!

Schon zum Frühstück lag ein Stück kalter Fisch auf dem Teller. Mittags gab es getrockneten Stockfisch in Buttermilch gekocht und am Abend getrockneten Stockfisch ohne Buttermilch. Ich zählte die Tage bis zur Abreise.

Es soll ja eine eigene finnische Küche geben. So steht es in Reiseführern und den von der Touristenzentrale herausgegebenen Schriften. Allerdings habe ich auf meinen Reisen an alle möglichen Orte der Welt nie ein finnisches Restaurant außerhalb Finnlands entdeckt.

Wer als 15-Jähriger drei Wochen lang jeden Tag Stockfisch essen musste, wird nach dem Krankheitsverzeichnis der Weltgesundheitsorganisation F62.0 möglicherweise an einer „andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“ leiden. Ich jedenfalls habe den leicht rauchigen Geschmack bis heute als eine Art Alarmanzeige in meinem Aromengedächtnis abgespeichert. Genau dieser Alarm wurde kürzlich ausgelöst.

Ich befand mich im süditalienischen Lucera auf der Tomatenfarm von Signore Petrilli und dieser hatte gerade eine seiner Tomatendosen geöffnet. Der Duft der länglichen Corbara-Tomaten erfüllte die Luft. Signore Petrelli züchtet alte Tomatensorten, füllt sie, nur kurz eingekocht, in Dosen oder macht Saucen und Püree daraus. Seine Tomaten verschickt er in alle Welt. Sogar Frank Sinatra, so erzählt Signore Petrilli gerne, ließ sich von ihm beliefern.

Tomaten sind ein furchtbar kompliziertes Gemüse. Jeder kennt sie und doch weiß kaum jemand, wie sie schmecken. Die Holland-Tomate aus dem Supermarkt tut nämlich nur so, als sei sie eine Tomate. Sie ist eine rote Wasserkugel, die auf einer Nährlösung gezüchtet und an jedem Tag im Jahr verfügbar ist. Man kann sie acht Wochen lang in den Kühlschrank legen und sie schimmelt immer noch nicht. Daher ist sie bei Geschmacksverweigerern und Ignoranten ein sehr beliebtes Gemüse.

Stockfisch: Vier frische Felchen ausnehmen, säubern, Kopf entfernen, aufschneiden und mit der Haut nach unten auf ein Brett nageln. Salzen und drei Tage in die Sonne stellen. Auf einem Grill mit Räucherkammer die Fische bei milder Temperatur räuchern. Vor dem Servieren die Gräten entfernen.

Passata: Ein Kilogramm reife südländische Tomaten in kochendes Wasser geben und nach zwei Minuten herausnehmen. Einschneiden und die Haut abziehen. Halbieren und das Kerngehäuse mit einem Löffel entfernen. Den Rest klein schneiden und ungefähr eine Stunde bei milder Hitze kochen. Anschließend mit Salz, etwas Zucker und weißem Pfeffer würzen und pürieren. Nach Bedarf danach nochmals bei offenem Deckel etwas einkochen lassen, dabei ständig rühren. Bei säurearmen Tomatensorten kann man zusätzlich einen Schuss Balsamico-Essig beigeben.

Wer hingegen einmal in Apulien in eine frische Tomate gebissen hat, möchte nie wieder durch eine holländische Wasserkugel beleidigt werden.

Aus diesen Tomaten ein konzentriertes Püree (Passata) zu machen, müsste wunderbar schmecken, dachte ich. Doch was isst man dazu? Es müsste etwas Eigenständiges, etwas sein, das der Macht dieser Tomaten standhält. Etwas wie … mir fiel der finnische Stockfisch wieder ein. Er könnte die Süße und Säure der apulischen Tomaten eine eigene Note entgegensetzen.

Tomaten aus Südeuropa schmecken zwar unvergleichlich besser. Doch viele sind durch Sklavenarbeit von Flüchtlingen politisch unkorrekt geerntet worden. Das macht die Sache kompliziert, weil man weder die holländische noch die apulische Tomaten-Mafia gerne unterstützen möchte. Weil ich Signore Petrilli kenne und weiß, wie auf seiner Farm gearbeitet wird, greife ich – zumal im Winter – gerne auf seine Tomaten zurück, die er in allen Varianten und gut verpackt auch nach Deutschland verschickt.

Wieder zu Hause kaufte ich mir ein frisches Bodenseefelchen, nahm es aus, salzte es und nagelte es mit der Haut nach unten auf ein Brett. So ließ ich es drei Tage in der Sonne stehen bevor ich es über einem Schwelfeuer mehrere Stunden räucherte. Noch lauwarm legte ich es auf ein aus Tomaten hergestelltes Passata und zählte mich anschließend zu den glücklichsten Menschen auf dieser Welt.

Die Genussseite: Philipp Maußhardt vereinigt auf dieser Seite jeden Monat die Küchen Europas. Außerdem hier im Wechsel: taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge oder treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen, und Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens.