Lager mit Möbeln aus jüdischem Besitz, 1943 Foto: Stadtarchiv Oberhausen

Vom Umgang mit dem Unrechts-Erbe

„Arisierungs“-Mahnmal „4qm Wahrheit“: Die taz.bremen zwischen Aktion und Recherche. Unter welchen Umständen darf eine Zeitung zum Akteur werden?

von Henning Bleyl

Ungewöhnlich intensiv setzt sich die taz.bremen mit der Frage auseinander, wie Firmen und Privatleute von der „Arisierung“ jüdischen Besitzes profiierten. Anlass war das aufwändig begangene Gründungs-Jubiläum von Kühne+Nagel, dem weltweit drittgrößten Logistik-Konzern – dessen History Marketing große Lücken ließ. Auch auf explizite Nachfrage. Die Antwort des Unternehmens lautete: „Der Rolle der Firma“ in den 30er- und 40er-Jahren mangele es „an Relevanz“.

Angesichts dieser Haltung stellte sich die Frage, wie Öffentlichkeit und Politik mit diesem offensiv vertretenen Anachronismus umgehen. Die taz befragte zunächst Historiker, recherchierte in Archiven und veranstaltete Podiumsdiskussionen – soweit die klassische Arbeit. Mit „4qm Wahrheit“ startete die Zeitung aber auch ein Crowdfunding, um ein Angebot für vier Quadratmeter der Fläche abzugeben, auf der K+N seinen Stammsitz neu errichten möchte – und nimmt damit eine Rolle ein, die befragt werden kann: Welche Umstände rechtfertigen, dass der Berichterstatter zum Akteur wird? Die Antwort der taz: Wenn die Rollenvielfalt transparent transportiert wird.

Ein Vehikel für Inhalte

Die taz.bremen lädt am 3.11. zu einem Symposium über „Arisierung“ in die Bremische Bürgerschaft, Am Markt 20, 28195 Bremen.

14 Uhr Bürgermeisterin Karoline Linnert (Finanzsenatorin), Martina Winkler, Direktorin des Instituts für Geschichtswissenschaft, Uni Bremen

14.15 Uhr Vernetzte „Verwertung“: Die Arbeitsteilung zwischen Behörden, Gerichtsvollziehern und Spediteuren bei der Beraubung der jüdischen Bevölkerung am Beispiel Bremens (Johannes Beermann, Leiter der Abteilung Archiv und Dokumentation des Fritz Bauer Instituts Frankfurt/M.)

15 Uhr Erinnern und Vergessen: Unternehmen und ihre Aufarbeitung der NS-Geschichte im Spannungsfeld von Öffentlichkeit, Politik und Ökonomie (Stefanie van de Kerkhof, Professurvertreterin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Uni Heidelberg)

16.15 Uhr „Das Unrecht nahm Einzug in unzählige Haushalte“: Die Auseinandersetzung privater ErbInnen mit dem Thema „Arisierung“ (Hilde Schramm, Stiftung Zurückgeben, Berlin)

17 Uhr Das Bremer Mahnmalprojekt der taz

19.30 Uhr Grußwort Christian Weber, Bürgerschaftspräsident. Vortrag: Zum Umgang mit der „materiellen Seite“ des Holocaust (Constantin Goschler, Professor für Zeitgeschichte an der Uni Bochum.

Im Anschluss: Diskussion

Infos: www.taz.de/denkmal

Die Redaktion machte deutlich, dass sie das Crowdfunding auch als Vehikel ansieht, um NS-Verdrängung und entgegenkommende Grundstücksüberlassung an den Konzern publik zu machen. Auch der Ideen-Wettbewerb der taz für ein „Arisierungs“-Mahnmal auf dieser Fläche beförderte die Diskussion, beileibe nicht nur auf K+N bezogen. Denn von den „Juden-Auktionen“, für die K+N Ware lieferte, profitierten viele.

Der Entwurf, den eine Jury mit taz-externen ExpertInnen unter 59 Einsendungen auswählte, ist denn auch das Gegenteil eines ausgestreckten Zeigefingers. „Leerstellen und Geschichtslücken“ nennt die Architektin Angie Oettingshausen ihr Projekt, das auf der gestuften Geländesituation an der Weser basiert. Eine begehbare Glasplatte vor dem Firmensitz lässt in ein tiefes Loch blicken – und ahnen, das weiter unten noch mehr zu sehen sein muss. Denn von der Seite, freilich sechs Meter weiter unten, trifft ein horizontaler Blickschacht, eine Art Schaufenster, auf den selben Schacht.

Von dort aus haben Spaziergänger auf der „Schlachte“ die Möglichkeit, „Leerstellen“ zu erkennen. In Oettingshausens Entwurf sind das scharf konturierte Hell/Dunkel-Schattierungen an der hinteren Wand, die den ehemaligen Standort von Möbeln und Bildern markieren – so, wie man das von ausgeräumten Wohnungen kennt. K+N führte den kompletten Inhalt zigtausender Wohnungen rassisch und politisch Verfolgter in den besetzten Ländern Westeuropas der „Verwertung“ zu.

Michael Kalis, bis vor Kurzem Gesamtkonzern-Betriebsratsvorsitzender Europa von Kühne+Nagel, und Thomas Sorg, langjähriger Betriebsratchef Deutschland, schreiben:

„Wir begrüßen die Initiativen zur Auseinandersetzung mit der Rolle von Speditionen beim Transport von beschlagnahmten Gütern politisch und rassisch Verfolgter. Dieses Thema wurde bedauerlicherweise nie intern durch die Firmenleitung von Kühne u. Nagel kommuniziert. Auch wir waren von den bisherigen Ergebnissen der externen Aufklärung berührt. Wir haben versucht, Herrn Kühne diesbezüglich zu einer anderen Einstellung zu bewegen. Es sind die öffentlichen Diskussionen und Aktionen, welche eventuell eine Wende bei Kühne u. Nagel erwirken können.“

Die taz sammelte im Rahmen ihres Crowdfundings bereits 27.000 Euro, von denen 8.000 der jüdischen Gemeinde überwiesen wurden. Nun steht die Frage im Raum, ob Bremen eine Alternativfläche für ein Mahnmal zur Verfügung stellt – denn die taz scheiterte bekanntlich trotz ihres doppelt so hohen Kaufangebots pro Quadratmeter mit ihrem Ansinnen, vier Quadratmeter des Grundstücks zu erwerben, auf dem K+N bauen möchte.

Wie steht es mit dem Profit der Privatleute?

Henning Bleyl

Foto: felderfilm

47, arbeitete seit 2001 als Kulturredakteur bei der taz.bremen und initiierte die Kampagne für ein Bremer „Arisierungs“-Mahnmal. Im November 2016 wechselt er als Geschäftsführer zur Bremer Heinrich-Böll-Stiftung. Für die taz gewann er sechs Journalistenpreise und einen Platz auf der Shortlist des Nannen-Preises in der Kategorie Investigation.

Im Sommer präsentierte die taz die Vielfalt der eingegangen Entwürfe und Modelle in einer Ausstellung in der Bürgerschaft, zusammen mit Möbeln und Hausrat, die aus „Juden-Auktionen“ stammen. Um die Diskussion um ein Mahnmal in einen noch breiteren Kontext zu stellen, veranstaltet sie am 3. November zusammen mit der Bürgerschaft und dem Institut für Geschichtswissenschaften der Uni Bremen ein „Arisierungs“-Symposium (siehe Kasten).

Dabei geht es insbesondere um den Umgang mit den privaten Profiteuren, Bürgern und Unternehmen, als substantielle Erweiterung der vorhandenen staatlichen Erinnerungskultur. Hilde Schramm wird die Arbeit der Stiftung „Zurückgeben“ zur Diskussion stellen. Und damit ist die Zeitung wieder explizit bei dem, was sie ausmacht: den Inhalten.