heute in hamburg
: „Vorurteile abgebaut“

Preis Das Projekt „gemeinsam Kirchdorf-Süd“ wird für die Arbeit in der Hochhaussiedlung prämiert

Sibylle Frey

Foto: Privat

52, Sozialpädagogin, arbeitet beim Verein für interkulturelle Bildung „Verikom“ in Kirchdorf-Süd.

taz: Frau Frey, das Projekt „gemeinsam Kirchdorf-Süd“ richtet sich an alle 6.000 BewohnerInnen der Hochhaussiedlung. Wer kommt zu Ihnen?

Sibylle Frey: Unser Motto ist: von fünf bis 95 – intergenera­tionell, interkulturell und inklusiv. Wir wollen also möglichst alle ansprechen. Aber nicht zu allen Treffpunkten kommen alle. Deshalb haben wir an vier Tagen in der Woche offene Angebote, die von unterschiedlichen Gruppen wahrgenommen werden.

Ein Beispiel?

Es gibt ein Frauenfrühstück, da sind auch Kinder dabei, aber keine Männer. Die können wieder zum Café kommen. Wir haben ein Sprachcafé für alle, die Interesse an Sprachaustausch haben. Das Sprachcafé wird von BewohnerInnen der Hochhaussiedlung und Menschen aus der nahen Flüchtlingsunterkunft besucht. Da geht es um den Austausch in den eigenen Sprachen, aber auch darum, sicherer zu werden in der Konversation im Alltagsdeutsch.

Wie haben Sie die Geflüchteten erreicht?

Wir sind auch ein aufsuchendes Projekt. Das heißt, dass wir in die Unterkunft gegangen sind und dort unser Angebot vorgestellt haben.

Sie bekommen heute den mit 10.000 Euro dotierten Holger-Cassens-Preis. Warum bemüht man sich um den sozialen Zusammenhalt vor allem in armen Vierteln?

Es ist sozialgeschichtlich belegt, dass es eine Segregation in der Bildung und damit auch im Bildungserfolg gibt. Dieser Spalt verläuft in Deutschland nun mal sehr stark entlang der ökonomischen Situation. Insofern ergibt es Sinn, dem in den ärmeren Stadtteilen entgegen zu wirken. Hier ist die Mehrsprachigkeit ein Teil des Lebensgefühls, unser Team ist daher auch mehrsprachig. Es geht uns um die Erhöhung der Mitgestaltungsmöglichkeit.

Nur weil man irgendwo wohnt, will man ja nicht Zeit mit seinen Nachbarn verbringen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Indem gesellschaftliche Gruppen miteinander ihren Stadtteil gestalten, werden Vorurteile und Rassismus abgebaut. Denn so ändern sich die Perspektiven aller. Das wäre aber ein Ziel in jedem Stadtteil. In Kirchdorf-Süd sind viele Familien wegen ihrer Armut isoliert.

Ist Armut in Kirchdorf-Süd, der Wohnmaschine an der Autobahn, das Hauptproblem?

Am Armutsproblem hängt Bildung, die Berufschance und die Aussicht auf Teilhabe. Jetzt ist Kirchdorf bedroht durch das nächste Autobahnprojekt – die A26. Wenn die kommt haben die Menschen nicht nur die A1 an ihrer Seite, sondern vor sich noch die A26, die durch den Grüngürtel verlaufen soll.Interview: lka

Preisverleihung: 18 Uhr, Patriotische Gesellschaft, Trostbrücke 4