Dokfilmmacher über die Haysom-Morde: „Vielleicht war's doch die große Liebe“

Der Film „Das Versprechen“ geht den Haysom-Morden in den USA nach. Ein Gespräch mit den Regisseuren Marcus Vetter und Karin Steinberger.

Jens Söring beim Interview im Gefängnis 2014

Jens Söring beim Interview im Buckingham Correctional Center, Virginia, 2014 Foto: Farbfilm

Karin Steinbergers und Marcus Vetters Dokumentarfilm „Das Versprechen“ rollt die Geschichte des Deutschen Jens Söring auf, der seit mehr als drei Jahrzehnten eine Haftstrafe wegen Mordes im US-Bundesstaat Virginia absitzt. Der zum Tatzeitpunkt erst achtzehnjährige Hochbegabten-Stipendiat hatte zunächst behauptet, die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom am 30. März 1985 in deren Haus getötet zu haben. Später erklärte er, es habe sich hierbei um eine Falschaussage gehandelt, um Haysom vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren. Weil Elizabeth Haysom weiterhin darauf beharrte, Jens Söring habe die – von ihr lediglich angestiftete – Tat begangen, wurde dieser trotz erheblicher Zweifel an seiner Schuld zu zweimal „lebenslänglich“ verurteilt. Anhand von Interviews mit damals Beteiligten, allen voran mit Jens Söring selbst, TV-Bildern aus dem Gerichtssaal sowie zahlreichen ausgewerteten Dokumenten, darunter auch die Liebesbriefe des 1986 in London festgenommenen und 1990 in die USA überstellten einstigen Paares, erzählt „Das Versprechen“ eine beinahe schon überlebensgroße Geschichte von Liebe und Verrat, die einen nachhaltig erschüttert.

taz: Frau Steinberger, Herr Vetter: Was war der Auslöser für Sie, diesen Dokumentarfilm zu drehen?

Karin Steinberger: Ich bin ja Reporterin bei der Süddeutschen Zeitung und habe 2005 einen Brief von einem Pfarrer bekommen, der mir schrieb, er glaube, da sitze ein Deutscher unschuldig in einem US-Gefängnis. Dem Schreiben war ein Brief von Jens Söring beigelegt, und so fingen wir an, uns zu schreiben. 2006 bin ich dann das erste Mal zu ihm gefahren und habe eine Seite Drei über ihn gemacht.

Wie ging es dann weiter?

„Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich“. Regie: Marcus Vetter, Karin Steinberger. Deutschland 2016, 118 Min.

Marcus Vetter: 2009 haben wir beide angefangen zusammenzuarbeiten, und schon da erzählte Karin mir immer wieder von diesem Jens Söring. Und als wir bald darauf in den USA einen Dokumentarfilm über die Finanzkrise gemacht haben, hat Karin zu mir gesagt, …

Steinberger: … das ist nicht weit.

Vetter: Und dann sind wir da hingefahren und haben ein Interview mit Jens Söring vereinbart. Einfach nur, um herauszufinden, ob er sich das vorstellen kann. Das Interview hat vier Stunden gedauert.

Wie waren Ihre Eindrücke?

Vetter: Am Anfang hat er ganz schnell geredet.

Steinberger: Jens Söring redet ja immer um sein Leben, weil er weiß, er hat nur einen begrenzten Zeitraum und die Geschichte ist eigentlich viel zu kompliziert, um sie jemandem zu erklären.

Vetter: Jedenfalls waren wir danach unglaublich geflasht. Es war Winter, wir sind zurückgefahren nach New York, und niemand hat gesprochen im Auto.

Elizabeth Haysom im Gerichtssaal in Virginia 1990

Elizabeth Haysom bei ihrer Aussage im Gerichtsprozess gegen Jens Söring, 1990 Foto: Farbfilm

Wie sieht Jens Söring heute die damaligen Ereignisse?

Steinberger: Jens Söring sitzt seit dreißig Jahren und fast sechs Monaten im Gefängnis. Und natürlich schwankt er immer wieder und denkt: Vielleicht war's ja doch die große Liebe. Aber eigentlich überwiegt bei ihm das Gefühl: Elizabeth Haysom hat mich benutzt, von Anfang an. Wie man das überlebt, ist etwas, was wir uns immer wieder gefragt haben.

Hat Jens Söring den Film eigentlich gesehen?

Vetter: Karin hat sehr darum gekämpft.

Steinberger: Mithilfe eines Anwalts hat es dann letztendlich geklappt.

Wie war das für ihn?

Steinberger: Bei ihm kam da wahnsinnig viel hoch, denn an vieles erinnerte er sich gar nicht mehr. Und vieles war ihm peinlich.

Vetter: Und trotzdem hat er alles so stehen lassen. In meinen Augen ist Jens Söring ein grundehrlicher Mensch. Er versteckt nichts.

Ich würde dann jetzt mal unterstellen, dass Sie beide davon ausgehen, dass Jens Söring die Morde nicht begangen hat. Oder täusche ich mich?

Steinberger: Ich weiß nicht, was in dieser Nacht passiert ist, obwohl ich seit zehn Jahren an dem Fall dran bin. Für uns geht es mehr um die Frage: Gibt es Zweifel an Jens Sörings Schuld? Und da muss man mittlerweile sagen: ganz erhebliche und die werden immer größer.

Jens Sörings Anwältin Gail Marshall sagt im Film, die Ermordung zweier angesehener Mitglieder der Society von Virginia durch die eigene Tochter sei dermaßen unvorstellbar gewesen, dass man sich zwangsläufig nach einem Schuldigen von außen habe umsehen müssen.

Steinberger: Es ist einfach schwer vorstellbar, dass eine Tochter ihre Eltern auf derart bestialische Weise umbringt. Denn die beiden Leichen sahen ja furchtbar aus: Die waren mehr oder weniger geköpft, die Luftröhren durchgeschnitten.

Vetter: Ein Overkill.

Steinberger: Deswegen kam ja auch ein FBI-Agent zu der Überzeugung: Erstens glaube er, dass es eine Frau war, die die Tat begangen hat. Zweitens glaube er, dass sie der Familie nahestand. Und drittens konnte er sich vorstellen, dass Drogen mit im Spiel waren. All das passte jedoch nicht in das Szenario der Staatsanwaltschaft von Jens Söring als Einzeltäter.

Besonders beeindruckend an Ihrem Film sind die Gerichtsszenen. Die nüchterne Art, wie Söring dort argumentiert, hat mich an Literatur, etwa an Camus’ „Der Fremde“ erinnert. Ist ihm genau diese Rationalität zum Verhängnis geworden?

Vetter: Wenn Elizabeth Haysom etwas sagt, selbst wenn sie ihn beschuldigt: Jens verzieht keine Miene. Und ich glaube, er tut das deshalb nicht, weil er denkt, es wäre unfair, wenn er darauf reagieren würde. Und sie ist ja das genaue Gegenteil. Sie spricht mit all ihrer Verführung.

Steinberger: Jens Söring ist ein control freak, der versucht, alles im Griff zu haben, und das ist voll gegen ihn geschlagen in diesem Prozess, der ja ein riesengroßer Prozess war in Virginia und für viele Anwesende der Höhepunkt ihrer Karriere. Deswegen ist es ja für viele auch so wichtig, dass Jens da bleibt, wo er ist.

Vetter: Weil er, so die Argumentation, diese beiden Menschen aus Virginia umgebracht hat, muss er auch in Virginia sterben.

Was spricht neben den bereits genannten Gründen gegen Sörings Täterschaft?

Steinberger: Laut der DNA-Analyse von 2009 konnte keine der 42 Spuren vom Tatort Jens Söring zugeordnet werden. Und jetzt gerade wurde vom gerichtsmedizinischen Institut Virginias bestätigt, dass das Blut der Blutgruppe 0, das ja immer Jens zugerechnet wurde, von einem anderen Mann stammt.

Vetter: Es war also ein anderer Mann vor Ort und hat Blut verloren.

Steinberger: Und das soll mir mal jemand erklären, wie das geht. Jens Söring wurde ja als Einzeltäter verurteilt.

Vetter: Die Geschichte stimmt nicht mehr, aber trotzdem gibt es keine Möglichkeit, den Fall wieder aufzurollen.

Wieso das denn?

Steinberger: 2009 wäre die letzte Möglichkeit gewesen, wegen der DNA-Analyse noch einmal vor Gericht zu gehen. Das hat Jens Söring damals tragischerweise nicht gemacht, weil er zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass Tim Kaine, der scheidende Gouverneur von Virginia (und heutige Vizepräsidentschaftskandidat von Hillary Clinton, Anm. d. Red.) eine Haftüberstellung nach Deutschland ermöglichen würde, was dann jedoch vom nachfolgenden republikanischen Gouverneur gestoppt wurde.

Vetter: Eine Verkettung tragischer Umstände.

Gibt es überhaupt noch eine juristische Möglichkeit für Jens Söring, jemals wieder freizukommen?

Steinberger: Juristisch nein. Politisch ja.

Vetter: Es gibt aber immer wieder Bewährungsgespräche.

Steinberger: Aber Bewährung wird eher schwieriger. Jens Söring hat ja jetzt in einer Petition an den Gouverneur auf Unschuld plädiert.

Und was ist mit Haftüberstellung nach Deutschland?

Steinberger: Haftüberstellung ist momentan nicht in Sicht.

Stehen Sie weiterhin in Kontakt mit Jens Söring?

Vetter: Jens ist schon lange Teil von Karins Leben und jetzt ist er auch Teil meines Lebens geworden.

Steinberger: Man kann nicht jahrelang über einen Menschen berichten und dann plötzlich aufhören. Das wäre ja fast schon unmoralisch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.