Der ganz reale Blickwechsel

SpielplatzImmer noch das neue Ding und damit schon reif für das Museum – das Computerspielemuseum Berlin an der Karl-Marx-Allee setzt nun auch auf Virtual Reality und gibt in einem neuen Bereich ab November Einblick in die virtuellen Welten

Ein Pioniergerät für Virtual Reality im Computerspielemuseum: „Cybermind“ Foto: Jörg Metzner

von Nadine Emmerich

Ungesichert klettere ich den Felsen in der Bucht von Phang Nga in Thailand hoch, suche mit beiden Händen Mulden oder Vorsprünge zum Festhalten. Nicht zu oft nach unten schauen, auch wenn der Blick auf die grüne Lagune lockt. Doch die etwa 100 Meter Tiefe lassen mich schwindlig werden. Ich bin hoch konzentriert, mir wird warm, meine Hände sind feucht.

Dabei kann ich gar nicht abstürzen. Ich stehe sicher auf dem Boden des Computerspielemuseums. Doch ich trage die Virtual-Reality-Brille Oculus Rift und spiele „The Climb“. 90 Minuten rasen an mir vorbei, ich bin erschöpft und wacklig auf den Beinen. Die körperliche Erfahrung der Immersion, des Eintauchens in die interaktive virtuelle Welt, habe ich mir nicht so extrem vorgestellt.

„Virtual Reality kann man sich nicht anlesen, das muss man ausprobieren“, sagt Museumsdirektor Andreas Lange. Virtual Reality (VR) ist aktuell der wohl größte Technologietrend – und schon bald im Museum zu sehen. Ab 12. November finden sich in dem Haus an der Karl-Marx-Allee im neuen Bereich „Virtual Reality“ mit den künstlich erzeugten 3-D-Welten drei spielbare Exponate. Zudem wird Pioniertechnik wie der Datenhandschuh Nintendo Power Glove (1989) und der VR-Helm VFX1 (1995) ausgestellt.

Schweres Gerät

Der derzeitige Hype ist bereits der zweite Anlauf, Virtual Reality zu etablieren. Vor rund 20 Jahren scheiterte die Technologie am Einzug in den Massenmarkt – zu teuer und wenig beeindruckend. Davon zeugt im Museum das klobige VR-System SU2000 aus dem Jahr 1994. Das 65.000-US-Dollar-Gerät, in dem der Nutzer mit schwerer Helmbrille auf einem Podest thront, stammt aus einer Spielhalle am Kurfürstendamm.

Für die Gegenwart steht im Museum neben der rund 700 Euro teuren Oculus Rift noch die Samsung Gear VR, die schon ab knapp 70 Euro zu haben ist. Bei diesem System wird ein Smartphone des Herstellers in die Halterung der Datenbrille geschoben. Ohne High-End-PC mit starker Grafikkarte ist das Erlebnis der virtuellen Realität indes schon weniger eindrucksvoll.

Das Computerspielemuseum Berlin eröffnete 1997 mit der weltweit ersten ständigen Ausstellung zur digitalen interaktiven Unterhaltungskultur. Die war bis 2000 geöffnet, danach trat das Museum erst mal nur noch online in Erscheinung. Seit Januar 2011 ist es wieder mit einer neuen permanenten Ausstellung im ehemaligen Café Warschau in der Karl-Marx-Allee 93a präsent.

Geöffnet ist täglich von 10 bis 20 Uhr, der Eintritt kostet 8, ermäßigt 5 Euro.

Allerdings gibt es für die Smartphone-Variante bereits hunderte Apps, während für die teuren Brillen laut Lange „noch die Killerapplikation fehlt“ – eine Anwendung, die Nutzer die nötige Hardware kaufen lässt. Viele Spielprinzipien und rasante Action ließen sich nicht auf Virtual Reality übertragen, erklärt Lange. „Man muss ganz neue Arten von Geschichten erzählen.“

Laut Umfrage des Digitalverbandes Bitkom haben neun Prozent der Deutschen über 14 Jahren bereits eine VR-Brille ausprobiert. Der Berliner VR-Experte Thomas Bedenk sagt, weltweit seien einige Millionen VR-Brillen in Nutzerhand. „2017 sehen wir sicher zweistellige Millionenzahlen mit stark steigender Tendenz.“ Der Printchefredakteur des Tech-Magazins t3n, Luca Caracciolo, schreibt in seiner VR-Kolumne: „Es wird um spezifische Anwendungsszenarien gehen.“ Sprich: Die Technologie muss von weiteren Branchen wie Tourismus, Architektur oder Autoindustrie genutzt werden.

Auch für Museen wird an Einsatzmöglichkeiten gearbeitet. Augmented Reality, die erweiterte Realität, wurde im EU-Projekt CHESS etwa im Akropolis Museum in Athen erprobt. Halten Besucher ein Smartphone vor eine antike Statue, werden darauf zusätzliche Infos eingeblendet. „Die Informationen erscheinen unmittelbar mit dem Exponat verwoben“, erläutert Jens Keil vom beteiligten Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt.

Bei der Gamescom im August in Köln wurde diskutiert, wie der VR-Boom in Kunst und Kultur genutzt werden könne. Bedenk sieht viel Potential, „völlig neuartige Szenarien zu ermöglichen“. In dem Spiel „Dear Maestro“ könne der Nutzer zum Beispiel ein Orchester dirigieren, im „VR Museum of Fine Art“ Kunstwerke wie die Mona Lisa im virtuellen Raum betrachten. Zur Berlin Biennale in diesem Jahr zeigte Jon Rafman in der Akademie der Künste „View of Pariser Platz“: Mit einer Oculus-Rift-Brille konnten Nutzer beim Blick aufs Brandenburger Tor wechselnde Szenen erleben, vom prähistorischen Ozean bis zum Weltuntergang.

Seit Juli gibt es im Computerspielemuseum auch eine Ecke für das Thema „Kunst und Games“. „Die Generation der Künstler, die mit Spielen aufgewachsen ist, nutzt diese jetzt als Material für interaktive Kunstwerke“, sagt Lange. Ausgestellt ist etwa das Bild „Der Levelmixer 6“, ein Geschenk des Schweizers Matthias Zimmermann, der Malerei und Digitalisierung am Computer kombiniert.

Nicht nur für Spielefreaks

Mehr als nur ein normaler Handschuh: der „Power Glove“ Foto: Lange/ Computerspielemuseum

Viele Exponate im Museum sind private Spenden. In den Anfangsjahren ging Lange noch viel auf Flohmärkte. „Da gab es noch keinen Sammlermarkt und die Sachen zu Elektroschrottpreisen.“ Inzwischen zählt das 1997 gegründete Museum rund 300 spielbare Exponate und verbucht jedes Jahr 100.000 Besucher.

Stellenweise geht es in dem Haus dabei zu wie auf dem Jahrmarkt, bunt und laut. Kinder daddeln neben Senioren am alten Amiga 500 oder Commodore 64, in einer nachgebauten Spielhalle hauen Teenager auf die Knöpfe. Die „Wall of Hardware“ präsentiert Rechner seit 1975. Es gibt aber auch Informationen zum E-Sport, zu Games in der DDR, zum Thema Abhängigkeit. Alles im kulturellen Kontext: „Wir sind nicht nur für Spielefreaks interessant“, sagt Lange.

Der Museumsdirektor ist übrigens noch skeptisch, ob Virtual Reality jetzt den Durchbruch schafft. „Rund zehn Prozent der möglichen Nutzer haben Motion Sickness, also Bewegungsübelkeit“, sagt er. Wenn die Augen etwas anderes sehen als das Gleichgewichtsorgan im Ohr empfindet, löst das Gehirn Schwindel aus. Im Museum helfen die Experten beim Umgang mit der VR-Technik, Interessierte müssen sich daher anmelden. „Es ist eine persönliche Betreuung notwendig, man kann Besuchern nicht einfach eine Brille in die Hand drücken.“