Mordversuch

Irre Querulanten: Lange sind „Reichsbürger“ verharmlost worden. Am Mittwoch greift einer Menschen an

„Reichsbürger“ schießt Polizisten nieder

Rechte Ein 49-Jähriger aus Bayern verletzt vier Polizisten, die seine Schusswaffen beschlagnahmen wollten. Der Mann zählt zu den rechtsextremen „Reichsbürgern“. Innenminister Herrmann will die Gruppe neu bewerten

Der Tatort in Georgensgmünd: Polizisten am Haus von Wolfgang P. Einer der Verletzten schwebte am Mittwoch in Lebensgefahr Foto: Nicolas Armer/dpa

Von Dominik Baur
und Konrad Litschko

MÜNCHEN/BERLIN taz | Es ist kein Wunder, dass die Existenz der „Reichsbürger“ dem ein oder anderen erst am Mittwoch durch eine Bluttat richtig bewusst geworden ist. Von einer „bisher so in Bayern nicht gekannten Eskalation“ sprach der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im nahe gelegenen Roth, nachdem der „Reichsbürger“ Wolfgang P. im mittelfränkischen Geor­gens­gmünd vier Polizeibeamte durch Schüsse verletzt hatte.

Am Mittwochmorgen wollten die vier Polizisten das umfangreiche Waffenarsenal des Mannes einziehen. Über 30 Schusswaffen, darunter auch historische Exemplare, soll der 49-Jährige besessen haben – legal. Der Jäger und Sportschütze galt den Behörden allerdings nicht mehr als zuverlässig, weshalb ihm die Waffen abgenommen werden sollten.

Obwohl die Polizei mit Spezialkräften erschien, konnte die Schießerei nicht vermieden werden. Sofort als die Beamten in das Haus eindrangen, eröffnete der „Reichsbürger“ das Feuer. Ein 32-jähriger Beamter wurde lebensgefährlich verletzt, ein weiterer erlitt einen Durchschuss im Oberarm, die anderen beiden wurden durch ­Glassplitter leicht verletzt. Wolfgang P. selbst konnte schließlich leicht verletzt überwältigt werden.

Wolfgang P. hatte auf seinem Grundstück eine eigens kreierte Fahne aufgestellt, im Internet präsentierte er sich als Sympathisant der „Staatenbund“-Bewegung. Diese betrachten Deutschland oder Österreich nur als eingetragene Firmen; Zugriff auf die Bürger hätten deren Behörden nicht. P. selbst verbreitete Internetbeiträge, in denen über einen „Geheimkrieg gegen Deutsche“ geklagt wird, und schrieb, bis zum Ende der BRD könne es „nicht mehr lange dauern“. Erst vor zwei Wochen verbreitete er: „Je mehr du über den Staat erfährst, desto mehr verstehst du, warum unsere Politiker den Bürgern keine Waffen zugestehen wollen.“

Einschlägige Vorstrafen hat P. laut Polizei keine. Die zuständige Oberstaatsanwältin hat nun Ermittlungen wegen Mordversuchs aufgenommen. Am Donnerstag soll der Mann einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.

Die Tat löste umgehend eine politische Diskussion über den Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern aus. Die bayerischen Landtagsgrünen forderten, die Gruppierung besser zu beobachten und deren Verbindungen in die rechtsextreme Szene intensiv zu prüfen. Katharina Schulze, Rechtsextremismusexpertin der Fraktion, kritisierte, dass das aktuelle Klima die Aktivitäten der „Reichsbürgerbewegung“ begünstige.

Eine Anfrage ihrer Fraktion zu den Aktivitäten der „Reichsbürger“ sei noch nicht einmal beantwortet worden. Begründung: unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand. „Dabei“, so Schulze, kämen selbst aus der Justiz Klagen, dass Vorfälle zunehmen – „von Widerstandshandlungen bis zu Körperverletzungen.“ Herrmann kündigte in Roth an, man werde „generell noch mal überprüfen, wer da als gefährlich eingeschätzt werden muss“.

Auch die Innenexpertin der Bundestagsfraktion der Linken, Ulla Jelpke, warnte davor, die Gefahr durch die Gruppierung zu verharmlosen: „Hinter der wirren Reichsbürgerideologie verbergen sich oftmals knallharte Rechtsextremisten, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.“

In Bayern warnte der Verfassungsschutz jüngst, die „Reichsbürger“ schürten „Überfremdungsängste und Untergangsvisionen“. Unter ihnen befänden sich „Verschwörungstheoretiker ebenso wie Querulanten und Geschäftemacher, aber auch politisch Motivierte“. 30 bis 40 Personen aus der Szene seien derzeit dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Der Brandenburger Geheimdienst wurde noch deutlicher: „Reichsbürger“ könnten sich „bis in den Bereich der Unzurechnungsfähigkeit in ihre Ideen hineinsteigern“.

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