Ein Proseccokater ist weniger hart als ein durch Hefeweizen induzierter
: Natur, Architektur, Konjunktur

Ausgehen und Rumstehen

von

Jenni Zylka

Hurra, Besuch! Von der Sorte, die lange nicht in Berlin gewesen ist, und demzufolge süße Dinge sagt wie: „Hier sprechen ja alle nur noch Englisch“, oder: „Ich wusste gar nicht, dass man in den Kneipen rauchen darf“ – „urban knowledge“, das sich weniger auf Weisheit denn auf Feierroutinen gründet. Er musste eh erst langsam wieder ins Feiern hineinfinden, der Besuch, Freitag hielten wir ihn somit lieber kräftesparend zu Hause fest, um am Samstag dafür Natur, Architektur und Konjunktur in einem Abwasch abzuhandeln: Rotärschige Paviane (Natur) vor den Fenstern des Bikinihauses (Architektur), durch die wir bei der Suche nach Nippes für den Mann (Konjunktur) schauten.

Der auf der Dachterrasse des schicken Gebäudes angesiedelte, ambitionierte High-Class-Nippesladen des „Gestalten“-Verlags musste jedoch bereits in Konkurs gehen, dabei hoffte ich, er hielte bis zum Weihnachtsgeschäft durch, sehr schade. Es hatten wohl doch nicht genug Bärte den Weg dorthin gefunden.

Zudem ist das ein ökonomisches Paradox: Wenn man ewig haltende Ledernecessaires verkauft, liegt es in der Natur der Sache, dass jeder Mensch nur genau eines braucht, und dieses auch noch seinen Kindern, Kindeskindern und Zinseszinseszinsen vererben wird.

Später rief der Besuch nach Kultur, darum schafften wir ihn ins Bassy, wohin sonst, und feierten mal wieder den 100. Geburtstag der Hausband: Die „Rhythm and Beat Organization“ paritätisch auf zwei Bühnen verteilt. Praktisch, während die eine Hälfte spielt, kann man mit der anderen anstoßen. „Do Re Mi“ (in der herrlichen Georgie Fame-Version) ist schließlich Hochkultur.

Sonntag konnten wir mit dem Italienischen Filmfestival im Babylon Mitte Eindruck schinden. Denn „Non Essere Cattivo“ von Claudio Caligari ist der italienische Oscarkandidat und lief hierzulande noch nicht. Der Film war zwar nicht wirklich gut – zwei junge Taugenichtse schludern sich in den 90ern mit Drogenverkauf, Prügeleien und dummen Gelaber durch die römische Vorstadt, bis einem ein Licht aufgeht, gähn, zu oft gesehen, zu sehr Macho –, aber das machte nichts. Allein durch die Sprache hielt sich die Wochenendstimmung. Und so ein Proseccokater ist ja auch viel weniger hart als ein durch Hefeweizen induzierter.

Beschwingt fuhren wir zwecks „grande Finale“ abends in die Berghain-Kantine zu Oum Shatt, die sogar noch besser waren als bei ihrer Record Release Party vor ein paar Monaten.

Und um beim Thema Film zu bleiben: Wie gern würde man den Film sehen, zu dem diese Band den Soundtrack liefern könnte! Hypnotisch wäre er, konzentriert, ein städtisches Drama mit Gefühl, mit Sehnsucht, mit Migrationshintergrund, und mit Surfgitarren galore, die von Schnurresträgern geschlagen werden. Eine echte musikalische Erleuchtung ist diese Gruppe, von einer seltenen Sorte, die es schafft, gleichzeitig Gang of Four, Tarkan, Bauhaus, Roxy Music und Palais Schaumburg zu zitieren, und dabei kein Fitzelchen unoriginell oder epigonenhaft zu sein. Nein, nein, das ist nicht übertrieben, sondern stimmt! Oum Shatt sind wirklich großartig! Manchmal, beziehungsweise oft kommt es eben darauf an, an den richtigen Stellen auch als InstrumentalistIn einfach mal die Fresse zu halten, und das haben Oum Shatt drauf. Ja gut, alle Texte haben wir noch nicht analysiert, aber das wird schon rechtschaffen vielschichtig sein, was Sänger Jonas Poppe und Konsorten da fabrizieren.

Und apropos Poppe: Er sieht so aus, als sei er zu jung, um wirklich abschätzen zu können, was ein Popper ist. Darum seien ihm auch großmütig die fragwürdig sitzenden Jacketts verziehen.