Abschied von gestern

Bühne Mit „Atlas des Kommunismus“ startet das Festival „Uniting Backgrounds – Theater zur Demokratie“ am Maxim Gorki Theater trotz großer Ambitionen eher harmlos

Mai-Phuong Kollath war kurz stolz, ihre Heimat in der DDR „repräsentieren“ zu dürfen Foto: Ute Langkafel MAIFOTO

von Barbara Behrendt

Kämpferisch eröffnet die Gorki-Kolumnistin Mely Kiyak das Festival „Uniting Backgrounds“: Es brauche die Künstler, die „Zivildienstleistenden der Kultur“, um zu zeigen, dass es möglich ist, „anders über Flüchtlinge, politische, religiöse, ethnische, sexuelle Minderheiten zu reflektieren und zu sprechen“, als das AfD und Pegida tun. Das zweiwöchige Festival am Maxim Gorki Theater will in Diskussionen, Lesungen und Inszenierungen über die Gefährdung der europäischen Demokratie nachdenken. Shermin Langhoff, die Intendantin des Hauses, hat es so formuliert: „Zwischen der Wahl zum Abgeordnetenhaus und der anstehenden Bundestagswahl wollen wir aus der postsozialistischen Perspektive des in der DDR gegründeten Maxim Gorki Theaters schauen, wie der Demokratie überhaupt noch zu helfen ist.“

Große Worte, wie üblich zu Beginn eines ambitionierten Festivals. Daran gemessen, bleibt die Diagnose heutiger Demokratie in der Eröffnungsinszenierung „Atlas des Kommunismus“ der argentinischen Regisseurin Lola Arias unterbelichtet. Die Autorin und Regisseurin ist so etwas wie das argentinische Pendant zu den Doku-Theatermachern „Rimini Protokoll“. Laien erzählen persönliche Geschichten aus ihrer Biografie: In „Mi vida después“ berichteten junge Leute vom Leben der Eltern unter der Militärdiktatur; in „The Art of Making Money“ verrieten Obdachlose, wie man erfolgreich bettelt.

Nun das Thema Kommunismus – allerdings wesentlich eingeschränkt auf die Zeit der DDR. Sieben Frauen stehen auf der Bühne, von der 9-jährigen Matilda bis zu der 84-jährigen jüdischen Sozialistin Salomea Genin; außerdem, als „Polittunte unter den Schwestern“, wie er sich tituliert, Tucké Royale, ein junger Schwuler aus Quedlinburg. Bis auf Ruth Reinecke, seit 1979 im Gorki-Ensemble, sind sie allesamt Schauspiellaien, die (soweit altersmäßig überhaupt möglich) ihre DDR-Erinnerungen heraufholen.

Plattenbau und Plackerei

Jana Schlosser, heute 52 und Erzieherin, provozierte den sozialistischen Staat mit systemkritischen Punksongs und wanderte 18 Monate lang in den Knast. Mai-Phuong Kollath war zunächst stolz auf das Privileg, ihre vietnamesische Heimat „repräsentieren“ zu dürfen – bis sie sich eingepfercht fand zwischen Plattenbau und Großküchenplackerei. Als zentrales Narrativ zieht sich die Biografie von Salomea Genin durch den Abend: die Erniedrigung als Kind 1937 im Nazi-Berlin, Flucht nach Australien, Kontakte mit Kommunisten, Rückkehr nach Berlin, 18 Jahre als IM bei der Stasi – schließlich die beschämende Erkenntnis, einen Polizeistaat mit aufgebaut zu haben. Depression, als nach der Wende kapitalistische Werbeplakate ihre Umgebung pflastern.

Arias und Bühnenbildner Jo Schramm setzen auf Nähe, Gemeinschaft, Emotion: Gespielt wird, mit viel Livemusik (Jens Friebe), auf einem breiten Holzsteg, dessen Seiten die Zuschauerbänke flankieren. Sprechen die Darsteller zur einen Seite, wird zur gegenüber liegenden ihr Gesicht projiziert. Die Spieler sitzen ab und an im Stuhlkreis, tauschen sich freundschaftlich aus. Die kleine Matilda darf forsche Fragen stellen. Das alles ist informativ, oft eindrücklich, tut aber keinem weh: Schließlich, das ist immer das Manko autobiografischer Projekte, soll kein „echter“ Mensch vor Publikum schlecht aussehen. So bleiben zwangsläufig viele Schmerzpunkte unangetastet.

Mit Verve schmeißen sich alle dafür in die Gesangseinlagen – und es berührt, wenn die in die Jahre gekommene Expunksängerin ihren großen Hit von damals, „Nazis in Ostberlin“, ins Mikro schreit oder die Vietnamesin ihr einstiges Hoffnungslied schmettert, hier in Friebes verfremdeter Fassung: „Ein bisschen Frieden“.

Ruth Reinecke versucht mit einer Szene aus Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ den Zuschauern fast 30 Jahre nach der Uraufführung an diesem Haus ein Gefühl für jene Zeit zu vermitteln – eine leidenschaftliche Reminiszenz. Allein: Es bleibt DDR-Vergangenheit. Sobald der Abend chronologisch den Mauerfall erreicht, zerfasert er: Was hat das schöne Engagement der 17-jährigen Helena ­Simon für die Flüchtlinge an der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule noch mit der Zukunftsfähigkeit des Kommunismus zu tun?

Am Schluss schwelgt man in der Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander: Salomea setzt auf eine selbstbestimmte junge Generation, die die kommunistische Idee doch noch verwirklichen könnte, Tucké erklärt, als wäre das mehr als ein Klischee: „Die Dummheit der DDR ist kein Beweis gegen den Kommunismus.“ Zu banal ist das als Bilanz eines Abends, der sich doch zutrauen wollte, den ganzen „Atlas des Kommunismus“ zu kartografieren.