Stadtgespräch
: Feindbild Fahrrad

Rigoros knipst Amsterdams Stadtverwaltung Fahrräder ab, die sie als „herrenlos“ identifiziert

Tobias Müller aus Amsterdam

Bike, ten euros?“ An diese Frage erinnern sich Tausende Amsterdam-Besucher, ausgesprochen von einem Junkie, im Morgengrauen an irgendeiner Gracht. Selbstverständlich war die Ware gestohlen.

Heute sieht man im Zentrum der niederländischen Hauptstadt täglich Menschen, die Schlösser durchtrennen und Fahrräder wegschleppen. Dabei handelt es sich nicht um Junkies, sondern um Mitarbeiter des kommunalen Ordnungsamtes, erkennbar an ihrer dunklen Dienstkleidung. Die Räder bringen sie zu einem Pick-up mit Logo der Stadt, der in der Nähe wartet. Ist die Ladefläche voll, geht es ab ins Straflager.

Das Straflager heißt offiziell fiets depot, und wie es sich für eine Umerziehungseinrichtung gehört, befindet es sich weit draußen, zehn Kilometer vor der Stadt, in einem Industriegebiet beim Hafen. Wer sein Rad von hier zurückholen muss, bezahlt nicht nur 22,50 Euro, sondern investiert leicht auch einen halben Tag.

Das fiets depot muss man gesehen haben: ein riesiges Areal mit weit über 10.000 Fahrrädern. Amsterdam, das zumindest ist die Meinung der Stadtregierung, muss sich einer Übermacht von fietsen erwehren.

Einige Jahre schon dauert der Kampf gegen falsch geparkte Exemplare oder solche, die vermeintlich ungebraucht in den immer knapp gesäten öffentlichen Parkgelegenheiten stehen. Wie sich das für eine städtische Kampagne gehört, hat sie einen schnittigen Namen: meer plek in het rek („mehr Platz im Ständer“). Wobei auch die Bereiche außerhalb zum Einsatzgebiet gehören, Laternenpfähle, Gitter oder Brücken. Auch Räder, die dort geparkt sind, landen im Straflager. Zwerffiets, hat man sie im Stadthaus getauft, was so viel bedeutet wie ein herren- oder damenloses Fahrrad. Immerhin will man den Weg vom Bahnhof in die Innenstadt zu einem „roten Teppich“ für Besucher machen.

Empört sind darüber nicht nur jene, denen die unerwartete Erziehungsmaßnahme den Tag zerreißt. Auch die Fahrradfahrervereinigung Fietsersbond findet das Vorgehen viel zu rigoros, landen doch in manchen Jahren um die 70.000 Räder im Depot.

Im Duktus der Stadtregierung sind sie eine Quelle von overlast („Belästigung“), ein Schlüsselwort im kommunalen Sicherheits- und Ordnungs-Diskurs. Die Radlervereinigung hält dagegen, längst nicht alle entfernten Räder seien ein Hindernis auf Gehwegen oder für Rettungsfahrzeuge. Zudem vernachlässige die Kommune die Vorgabe, wonach Besitzer der betreffenden Räder erst verwarnt werden müssen.

Den Kabarettisten Johan Fretz hat dieser Ansatz ziemlich auf die Palme gebracht. 2014 erschien in der Lokalzeitung Het Parool ein Artikel, wonach nur knapp die Hälfte aller fietsen aus dem Depot abgeholt würden. Worauf Fretz sich in einem wütenden Kommentar in der gleichen Zeitung gegen den „Regelfetischismus“ echauffierte. „Jeder hasst das Depot. Mir ist es lieber, dass ein Junkie mein Fahrrad zockt, der hat wenigstens noch was davon“.

In diesem Herbst erhöht die Kommune die Schlagzahl: Überall im Stadtgebiet sollen vermeintlich herrenlose oder verwaiste Fahrräder aus den Ständern geholt werden, wenn sie dort länger als sechs Wochen stehen – in viel frequentierten um den Bahnhof herum liegt das Limit bei zwei Wochen. Auf der Facebookseite „Fiets Amsterdam“ kommuniziert man mit den Bewohnern über die „Sechs-Wochen-Regel“.

Das Echo ist geteilt. Da gibt es Amsterdamer, die die Maßnahme angesichts des „Chaos auf überfüllten Wegen“ mit „je früher, desto besser“ begrüßen. Andere geben unumwunden zu, dass sie schon lange verwaiste Fahrräder bei der Kommune melden, diese jedoch viel zu träge reagiere.

Nicht wenige wiederum sorgen sich, von einer langen Reise zurückzukehren und das Fahrrad nicht mehr vorzufinden. Und manche haben genug von der immer weiter reichenden Regulierung des öffentlichen Raums in Amsterdam, die einst als „Stadt, wo alles kann“, galt. Ein erzürnter Diskutant nannte die Menschen in den dunklen Uniformen gar „Gestapo“.