Editorial

Die EU ist ein bürokratisches, weltfremdes Monster, das für viel Geld unseren Alltag durchnormiert – heißt es. Stimmt das? Wir haben uns nach der Brexit-Entscheidung vor drei Monaten gefragt: Warum glauben wir das nicht? Warum bereitet uns der britische Ausstieg Bauchschmerzen? Was ist gut an der EU? Aber auch: Wie sähe eine bessere EU aus – was ist unsere Eurovision?

Wir haben alle Abgeordneten des Europaparlaments nach den besten Entscheidungen gefragt, die von der EU getroffen wurden. Und nach ihren Visionen. Dass die Freizügigkeit auf Platz zwei der am häufigsten genannten besten EU-Regelungen steht, hat uns nicht überrascht. Die Top­antwort schon.

Aber Europa ist größer als die Summe seiner Richtlinien. Für Menschen aus Nicht-EU-Staaten ist es oft ein Sehnsuchtsort. Jamala, die ukrai­ni­sche Gewinnerin des Eurovision Song Contest, definiert Europa als frei, wohlhabend und offen. Ein junger Marokkaner sagte uns: „Ihr Europäer seht den Wert der EU gar nicht.“

Wäre es also gut, wenn alles bliebe, wie es ist? Natürlich nicht. Der französische Soziologe Didier Eribon, der mit „Rückkehr nach Reims“ eines der meistdiskutierten Bücher des Jahres geschrieben hat, spricht darüber, warum er selbst bei der Brexit-Abstimmung mit Jein gestimmt hätte – und über die Notwendigkeit, Europa neu zu denken.

Eine Botschaft zieht sich durch unsere 14 Europaseiten: dass ein nichteuropäisches Leben keine Option ist. Augenfällig wird das auch durch die Fotos der Serie „Sea Change“. Sie zeigen junge Europäer, die sich zwar in ihrem Alltag unterscheiden, aber viele Ideen teilen. Die Jugendlichen auf dem Titelbild feiern in Polen. Sie könnten auch in Berlin, Birmingham oder Bratislava sein. Es sind: Europäer.

Klaus Raab
und Paul Wrusch