Kredit kommt von „glauben“

WELTANSCHAUUNG Die Tagung „Bonds. Schuld, Schulden und andere Verbindlichkeiten“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt fragte nach den Verflechtungen von Ökonomie, Religion und Philosophie

Dass Ökonomen ihr Fach aus religiöser Perspektive betrachten, ist eher die Ausnahme. Auch lesen Theologen einen Text wie die Bibel nicht in erster Linie als Wirtschaftslehrbuch. Gleichwohl sind die Überschneidungen erstaunlich vielfältig: Ausgerechnet ein Franziskanerpate aus dem 15. Jahrhundert, Luca Pacioli, gilt als Erfinder der doppelten Buchführung. Im Englischen kann ein „bond“ sowohl den Bund mit Gott als auch ein verzinsliches Wertpapier bezeichnen. Und wenn der Gott der Bibel im Vaterunser um Vergebung gebeten wird, ist, je nach Evangelist, mal von Sünden, mal von Schulden die Rede.

Die Liste ließe sich wohl nicht unendlich, aber doch recht lang fortsetzen. So stammt auch das Wort „Offenbarungseid“ aus der religiösen Sprache, wie der Intendant des Berliner Hauses der Kulturen, Bernd M. Scherer, am Donnerstag in seiner Eröffnung der Tagung „Bonds. Schuld, Schulden und andere Verbindlichkeiten“ anmerkte. In der biblischen Erbschuld, der durch Adam und Eva in Gang gesetzten Sündigkeit des Menschen als anthropologische Konstante, könne man zudem die Triebkraft des Kapitalismus sehen: „Man muss Schulden machen, um die Zukunft zu gestalten.“

Spätestens seit dem Erscheinen von Büchern wie „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ des US-amerikanischen Ethnologen und Anarchisten David Graeber und „Die Ökonomie von Gut und Böse“ von Tomáš Sedláček, Wirtschaftshistoriker und Chefvolkswirt der Tschechoslowakischen Handelsbank AG, hat der öffentliche Wirtschaftsdiskurs neue unorthodoxe Impulse erhalten. Beide Autoren erörtern Wirtschaftsfragen in Zusammenhang mit religiösen, ethischen oder anthropologischen Fragestellungen, um mit der vorherrschenden Selbstdarstellung der Ökonomie als scheinbar wertneutrales, rein mathematisches Unterfangen aufzuräumen.

In welchem Maße Sedláček die Kraft von „Geschichten“ als Arbeitsgrundlage für seinen Ansatz zu nutzen versteht, ließ sich bei einer Theaterperformance nachverfolgen, die der Ökonom gemeinsam mit der Prager Theatergruppe LiStOVáNí bestritt. Statt einen Vortrag inklusive Computerpräsentation zu halten, inszenierten Sedláček und die Schauspieler Lukás Hejlík und Alan Novotny den Text als kurzweiliges Edutainment mit „analogen“ Folien. Vom Gilgamesch-Epos bis zu „Fight Club“ gab es szenische Dialoge, musikalische Einlagen und eine gute Portion Klamauk.

Ob Sedláčeks Position, dass Ökonomie eine Religion unserer Zeit sei, auf diesem Wege eine solidere argumentative Untermauerung erhält, sei dahingestellt. Eine seiner zentralen – von Marx entlehnten – Ideen, dass Ökonomie ein Fetisch sei, der sich als Heilmittel verspricht, diese Heilung selbst aber verhindere, äußerte Sedláček erst in der anschließenden Diskussion. Dank seiner suggestiven Art erwies sich Sedláček jedenfalls als brillanter Verkäufer, mithin grundsolider Vertreter seines Fachs.

Weniger unterhaltsam, dafür deutlich schärfer hatte sich tags zuvor der Soziologe Maurizo Lazzarato aus Paris in die Debatte eingebracht. Lazzarato, dessen aktuelles Buch „Die Fabrik des verschuldeten Menschen“ (bbooks Verlag) neben Graebers und Sedláčeks Titeln im Foyer auslag, demonstrierte seine These, dass Kapitalismus ohne Schuld nicht möglich sei, am Beispiel der US-amerikanischen Hochschulen. Sein Befund: „Die Denkfabrik ist ein Finanzunternehmen.“ Denn der amerikanische Student repräsentiere die Inkarnation der persönlichen Verschuldung in Gestalt von Hochschulkrediten. Rund zwei Drittel der Hochschulabsolventen in den USA seien verschuldet, viele von ihnen ohne Aussicht, ihre Kredite je vollständig abzuzahlen. Die amerikanische Universität spiegele so die Situation der neoliberalen Gesellschaft wider, in der es nur noch Kredite gebe. Im Finanzkapitalismus sei es unmöglich, sich aus seiner Schuld zu befreien. Man könne bloß individuell, aber nicht kollektiv seine Schuld abtragen.

Der Schuldentheorie Graebers konnte Lazzarato nur wenig abgewinnen. Dessen Plädoyer für einen großen Schuldenschnitt beruhe auf der Annahme, man könne seine Schulden einfach zurückzahlen. Damit denke der Anarchist Graeber „wie ein Volkswirtschaftler“. Statt uns von der Schuld zu befreien, lege uns der Kapitalismus „in Ketten“: Die Forderung an die verschuldeten europäischen Staaten, ihre Schulden zurückzuzahlen, sei eine politische Waffe, um das neoliberale Modell zu bestätigen. In einer solchen Lage brauche es keinen Schuldenschnitt, sondern die „Suche nach neuen Waffen“. TIM CASPAR BOEHME