Diplomatie

Vor dem EU-Gipfel fordert Luxemburgs Außenminister Asselborn
die Verteidigung europäischer Werte – und provoziert Ungarn

Die Fetzen fliegen

Ungarn Außenminister Péter Szijjártó pöbelt gegen seinen luxemburgischen Kollegen und ruft sein Land zur Abstimmung über die Flüchtlingspolitik auf

„Dieses oberlehrerhafte, eingebildete und frustrierte Individuum”

Ungarns Außenminister Szijjártó

WIEN taz | Nur die Ungarn selbst hätten das Recht zu entscheiden, „mit wem sie leben wollen und mit wem nicht”. Spät, aber heftig reagierte Ungarns Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó auf das Interview von Jean Asselborn in einer Meldung der offiziellen Presseagentur MTI. Szijjártó meint nicht das Zusammenleben in der EU, sondern mit Flüchtlingen aus fremden Kulturkreisen, gegen das Premier Viktor Orbán seit Monaten mobilmacht.

Jean Asselborn sei schon in der Vergangenheit als „intellektuelles Leichtgewicht aufgefallen“. Aus seinen Äußerungen könne man erkennen, „dass dieses oberlehrerhafte, eingebildete und frustrierte Individuum“ wenige Kilometer von Brüssel zu Hause sei.

Szijjártó bezeichnete den luxemburgischen Außenminister als „klassischen Nihilisten“, der sich schon lange als seriöser Politiker disqualifiziert habe. Asselborn arbeite unermüdlich daran, Europas Sicherheit und Kultur zu zerstören. Im Gegensatz dazu habe Ungarn im Laufe seiner Geschichte Europa stets verteidigt. Am 2. Oktober seien die Ungarn aufgerufen, ihre Meinung zur illegalen Migration und dem von Brüssel oktroyierten Quotenpaket zu äußern. Kein Brüsseler Bürokrat und genauso wenig der Außenminister von Luxemburg habe das Recht, den Ungarn dieses Recht abzusprechen.

Szijjártó findet es – in Anspielung auf die Luxleaks Steueraffaire – „etwas sonderbar, dass Jean Asselborn und Jean-Claude Juncker, „die beide aus dem Land der Steueroptimierung kommen“, über die Teilung von Lasten sprechen. „Wir verstehen, was das wirklich heißen soll: Ungarn soll Lasten, die durch die Fehler anderer entstanden sind, schultern.“

Ungarn weiß sich mit seiner Flüchtlingsabwehrpolitik in der Gesellschaft der anderen Visegrád-Staaten Polen, Slowakei und Tschechien. Die Visegrád-Gruppe vertritt das alte Konzept des Europas der Völker, in dem außer der wirtschaftlichen Integration kaum Kompetenzen an Brüssel delegiert werden sollen. Zuletzt ist der mittelosteuropäische Klub in der Flüchtlingsfrage immer wieder als Opposition zu Angela Merkels Linie aufgetreten.

In Ungarn kann man sich vorstellen, den Nachbarn Österreich als Vollmitglied zu gewinnen. Sollte Heinz-Christian Strache mit seiner rechten FPÖ in Wien an die Macht kommen, was angesichts seiner blendenden Umfragewerte spätestens 2018 Realität werden könnte, erscheint dies gar nicht so utopisch. Auch FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer schwärmte am Montag bei einem Besuch in Prag schon für eine Zusammenarbeit mit der Visegrád-Gruppe. Für ihn wäre das „ein riesiger Erfolg“, sagte er.

Ungarn hat sich vergangenes Jahr durch einen Grenzzaun gegen Flüchtlinge abgeschottet. Mit dem Bau eines zweiten, noch massiveren Grenzwalls könne jederzeit begonnen werden, drohte Regierungssprecher Zoltán Kovács letzte Woche in Wien. Ralf Leonhard