Ein Herz fürs freie Handwerk

dachdeckerschaden Bremer Landgericht verurteilt den Zentralverband des Dachdeckerhandwerks, weil er meisterfreie Gewerbetreibende verleumdet hat

Ob Dachdecker Meisterbriefe, Lebkuchenherzen oder keins von beiden haben, ist egal – wenn sie Dächer decken können Foto: Ingo Wagner/dpa

von Eiken Bruhn

Wenn es um den Meistertitel geht, kennen die Handwerksverbände kein Pardon. Um die Notwendigkeit dieses europaweit einzigartigen Systems zu begründen, behaupten sie immer wieder, nur der Meistertitel garantiere gute Arbeit und einen Schutz vor Betrügern.

So zum Beispiel der Zentralverbands des deutschen Dachdeckerhandwerks, der im Juli 2014 auf seiner Homepage schrieb: „Seriöse Dachdeckerarbeiten können nicht durch umherziehende Gewerbetreibende ausgeführt werden.“ Einen Satz später wurden diese als „Dachhaie“ bezeichnet, also Betrüger, die an der Haustür klingeln, behaupten, das Dach müsse dringend repariert werden und, wenn der Hausbesitzer nicht überzeugt ist, auch mal nachts draufsteigen und es demolieren.

Gegen eine solche Verunglimpfung seines Berufsstands klagte der Bremer Dachdecker Lutz Newiger vorm Bremer Landgericht. Er hat keine Meisterprüfung abgelegt und betreibt sein Handwerk daher als Reisegewerbe. Bereits im Januar hatte das Bremer Landgericht Newiger recht gegeben (taz berichtete) und den Zentralverband aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu formulieren und zu unterschreiben. Doch das, was der Verband dann zu Papier brachte, war aus Sicht des klagenden Handwerkers und seiner Anwältin keine Erklärung, solche Behauptungen in Zukunft zu unterlassen, sondern im Gegenteil ein Freifahrtsschein, es weiter zu tun.

Und das sah Britta Gustaffson, die Vorsitzende Richterin, die am Donnerstag über den Fall zu urteilen hatte, ganz genau so. „Das, was Sie hier vorgelegt haben, schafft eine Zweiklassengesellschaft. Da werden alle, die keinen Meistertitel führen, zu Dachhaien gemacht.“ Eine Stunde bearbeitete Gustaffson den Anwalt des Dachdeckerverbands, den Text der Unterlassungserklärung so zu ändern, dass zukünftige Veröffentlichungen tatsächlich ihrem vorgeblichen Zweck – dem Warnen vor unseriösen Anbietern – dienen. Und nicht eine Herabsetzung von unabhängig organisierten Handwerkern wie Newiger.

Nach und nach ließ sich der Anwalt des Beklagten, Michael Schuster, auf Zugeständnisse und das Anliegen der unabhängigen Handwerker ein. So verzichtete er am Ende auf eine Passage, die es dem Verband erlaubt hätte, zu behaupten, dass „nach historischen Erfahrungen häufig von unseriösen Anbietern Leistungen an Dächern in Haustürsituationen angeboten werden“ – genau das aber ist das Kerngeschäft des reisenden Gewerbes, wie Newiger darlegte.

„Das, was Sie hier vorgelegt haben, schafft eine Zweiklassengesellschaft“

Britta Gustaffson, Vorsitzende Richterin über die Argumente des Dachdeckerverbands

Vor dem Hintergrund des eigentlichen Konflikts um die Meisterpflicht ist eine weitere Formulierung in der Unterlassungserklärung geradezu sensationell. Im ersten Entwurf des Zentralverbands hieß es noch, dieser dürfe darauf hinweisen, dass Reisegewerbetreibende nicht nachweisen könnten, über die „fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für die angebotenen Leistungen“ zu verfügen. Jetzt aber behält sich der Verband nur noch Formulierungen vor, mit denen über Reisegewerbetreibende pauschal gesagt wird, sie könnten „hervorragende Fähigkeiten“ besitzen „oder gar keine“.

Dieser Vorschlag kam vom Verbands-Anwalt Schuster – die Richterin machte aus ihrer Begeisterung darüber keinen Hehl. „Das finde ich witzig“, sagte sie, weil die Formulierung nichts aussage. Für Anwalt Schuster war sie jedoch essentiell, um der Unterschrift zuzustimmen. Nicht einlassen wollte er sich aber auf Newigers Zusatz, dass es auch Betrüger mit Meistertitel gibt.

Wie die Gerichtskosten jetzt verteilt werden, entscheidet das Gericht. Für die Handwerker-Anwältin Simone Baiker ist klar, dass sie nicht halbiert werden können, schließlich habe ihr Mandant recht bekommen.