Erotik zwischen Lippen und Metallring

Performance Beim Festivals „Moving Music“ im Ballhaus Ost ging es um Modulationen zwischen Körper, Instrument und Raum

Die Armmuskeln zucken, unweigerlich. Minutenlang hält Robin Hayward seine Tuba mit erhobenen Armen über sich, ein Kraftakt, ein spannungsgeladener Anblick, der weit mehr verrät über die intime Beziehung eines Musikers zu seinem Instrument, als in einem Konzert zu erleben wäre. Hayward nähert sich seiner engsten Vertrauten zunächst in Haltungen, die ihn preisgeben als körperlichen Auslöser von Klängen. Steht die Tuba mit dem Trichter am Boden, ragt das Mundstück knapp darüber, und Hayward erreicht es nur auf den Knien mit geneigtem Oberkörper – eine erotisch anmutende Anziehung zwischen Lippen und glänzendem Metallring. Der Boden dämpft den Schall, wie auch die Vorhänge an den Seiten, in die Hayward hineinbläst; schließlich lotet er die Beschaffenheit seiner Klänge im Duett mit einem Schild aus, das Takako Suzuki dem Schalltrichter entgegenhält oder darauf ablegt.

Die Choreografin gab den Anstoß für die Modulationen zwischen Körper, Instrument und Raum, mit denen sich ebenso alle anderen gezeigten Produktionen des Festivals „Moving Music“ im Ballhaus Ost am vergangenen Wochenende auseinandersetzten. Die Echtzeitmusikplattform Laborsonor hatte sechs Choreograf_innen damit beauftragt, für Musiker_innen zu komponieren und alle Aufführungen zeigten, welch famose Bühnenpräsenzen in Persönlichkeiten stecken, wenn nicht von vornherein nach deren ureigenster Profession, dem Musizieren, verlangt wird.

Lucio Capece und Sabine Ercklentz beginnen ihren Auftritt mit einer Pantomime aus Gesten, die ihrem Instrumentalspiel entlehnt sind und in Umarmungen ohne Berührung münden, dann vollführen sie mit sagenhaften Pokerfaces einen expressionistischen Disco Dance zu einem stumpfen Beat. Aus dem verkabelten Dämpfer von Ercklentz’ Trompete tönt ein Schlager, der widerhallt, weil sie ihren Oberkörper als Resonanzraum nutzt. Für dieses Schelmenstück hat Fernanda Farah die beiden Musiker_innen bei Vorbereitung, Aufbau und Spiel beobachtet und die zweckgebundenen Bewegungsmuster zu bühnenreifen Handlungen mit charmanter Eigenlogik transformiert. Der Schlagzeuger Steve Heather hingegen muss den Parcours mit einer entfesselten Snare Drum aufnehmen.

Die Choreografin Antonia Baehr verbindet drei Musiker_innen mit Schläuchen und Fäden. Neele Hülckers Stimmkapriolen erklingen auf wundersame Weise aus der Geige von Johnny Chang, der seinerseits mit einem Bogenstrich die Haare der Akkordeonistin Lucie Vítková zu Berge stehen lässt. „Röhrentier“ heißt diese Aufführung mit dem so verspielten wie zeremoniellen Hauch eines Happenings der 1960er-Jahre.

Vítková sagte auf dem Podium des Festival-Symposiums, dass Baehr und die drei Perfomer_innen erst eine Umgebung kreierten und dann lernten, sich darin zu verhalten – eine treffende Beschreibung auch für die anderen Begegnungen zwischen Choreografie und Musik. Das weiße Blatt auf dem Tisch in der Aufführung mit Biliana Voutchkova bleibt unbeschrieben, dafür wird der in weiß gehaltene Bühnenraum zum Notenblatt, die Geigerin zur Darstellerin ihrer eigenen Partitur. Ein bestimmter Klang gehört hier an einen bestimmten Ort, auf einem anderen Raumweg krümmt sich ihr Körper, während die Töne höher und höher erklingen. Voutchkova hält den Bogen für Momente in schmalem Abstand zu den Saiten; mit den Sekunden dehnt sie auch die Erwartung an ihr Spiel. Nach sechs Einblicken in die sensiblen Zwischenräume von Körpern und Instrumenten hört sich die Musik noch facettenreicher an. Franziska Buhre