Wieder kein Strom

Wie eine Mottoparty zu den „Goldenen Zwanzigern“: die inhaltsarme, aber hübsche Dokusoap „Abenteuer 1927 – Sommerfrische“ (18.50 Uhr, ARD)

VON STEFFEN GRIMBERG

Wenn das nichts ist: Von der Aushilfe Susanne im „Marienhof“ zur gnädigen Frau, oh pardon: zum gnädigen Fräulein Gutsherrin auf Beelitz in der ARD-Sommerfrische, Jahrgang 1927 – Susanne Vogels Karriere im Ersten kann sich sehen lassen. Und sie gibt ihre Rolle gut, die der überraschend jungen Herrin im schon aus dem ARD-„Abenteuer 1900 – Das Gutshaus“ bekannten Gemäuer irgendwo in den Weiten Brandenburgs.

Der Plot von „Abenteuer 1927“ ist denn auch der sattsam bekannte: In Beelitz gibt es noch immer keinen Strom, dafür aber Weibezahl, einen Butler-ähnlichen Hauptdiener, der im wahren Leben auf den Vornamen Tinko hört und beim Deutschen Bundestag arbeitet. Weibezahl muss die Marotten der Chefin ausbaden und das Personal auf Trab halten. Upstairs – downstairs, Herrschaft gegen Personal. Diesmal bereits mit Automobil, Grammophon und Tanzlehrer für Schimmy und Charleston. Und dann diese Mode … göttlich.

Für Handlung neben den alltäglichen Konflikten um Gehorsam, Unterordnung und ungemachte Betten sorgen ein halbes Dutzend Sommergäste (wunderbar vor allem ein lässiger Schnösel namens Christoph Sauer) sowie Tennis-und Reitunterricht.

Anders als die Gutsherren des ersten 1900er-Durchgangs – im heutigen Leben Chirurgen – hat Susanne Vogel keinerlei Skrupel, die harte Hexe zu spielen. Schließlich ist sie ausgebildete Schauspielerin, auch wenn sie zuletzt eher als Moderatorin beim Deutschen Sportfernsehen („DSF – Das Sportquiz“) im Einsatz war. Noch mehr dürfte ihr für diese Rolle etwas geholfen haben, was sich viel weiter unten in ihrem Lebenslauf findet: Beim „VIP Flottenservice“ von BMW hatte sie sich zur Einsatzleiterin hochgearbeitet – wie vermeintlich wichtigere Menschen zicken, hat sie also quasi von der Pike auf gelernt. „Ich werde sehr schnell streng“ ist im „Gutshaus“ denn auch ihr zweiter Satz ans Personal. „Ich hab’ vorhin noch gesagt, dass sie total sympathisch und lieb wirkt“, entfährt es darauf dem „Mädchen für alles“ ( Juliane Winterhoff). „Ist halt ’ne Gutsherrin, was soll die machen“, gibt Küchenmädchen Judith Lüdenbach zurück.

Doch, der Klassenkampf funktioniert im „Abenteurer 1927“. Nur sonst geht die bewusst in dieses Jahr nach unmittelbarer Nachkriegszeit und Inflation platzierte Zeitreise häufig nicht über eine Mottoparty zum Thema „Die Goldenen Zwanziger“ hinaus. Schön anzusehen und für die nun wohl endgültig im ARD-Vorabendprogramm gelandeten Zeitreiseformate erfolgversprechend ist das allemal. Doch der öffentlich-rechtliche Sender hätte mit ein wenig mehr „Bildungsauftrag“ allemal glänzen können, ohne das Unterhaltungspotenzial ernsthaft zu gefährden. Dräuende Massenarbeitslosigkeit, Bauernproteste wegen Überschuldung, Hitler am Horizont – davon ist hier nichts zu spüren. Beim britischen Urvorbild all dieser Formate, den „House“-Serien des Senders Channel 4, schrieb dagegen beispielsweise im „1940s House“ ein Kriegskabinett den Bewohnern exakt vor, welche Rationen sie auf ihre Lebensmittelkarten bekamen – und bei fehlerhafter Verdunkelung setzte es satte Strafen.

Nun ist der Zweite Weltkrieg für eine Zeitreise im deutschen Fernsehen vielleicht weniger geeignet. Doch die ARD und „Abenteuer“-Stammregisseur Volker Heise haben bereits mit dem „Schwarzwaldhaus 1902“ gezeigt, dass sie das Genre eigentlich auch in seiner etwas anspruchsvolleren Variante beherrschen. Fürs „Abenteuer 1927“ muss dummerweise die Frage reichen, wer als nächster vom Pferd fällt. Das ist, wie gesagt, nett anzusehen und hoch professionell gemacht. Aber eben auch ein bisschen wenig.