Sehenswürdigkeit: das Schloss in Schwerin, Sitz des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern Foto: Daniel Bockwoldt/ dpa

Auftritt EmVau

Nachlese Mecklenburg-Vorpommern ist seit Sonntagabend in aller Munde. Und doch erfährt man über das Bindestrichland so wenig wie selten zuvor

Von Andreas Rüttenauer

So viel Mecklenburg-Vorpommern war nie. Alle Welt redet über das Ergebnis der Landtagswahlen vom Sonntag. Sogar im chinesischen Staatsfernsehen soll das vor allem für die CDU so katastrophale Ergebnis der Abstimmung Thema gewesen sein. Klar, die Kanzlerin war am Wahltag und an dem danach beim G-20-Gipfel im chinesischen Hangzhou. Aber auch in den USA und überall in Europa weiß man jetzt, dass es in Deutschland ein Bundesland gibt, das Mecklenburg-Vorpommern heißt. Die 167.453 Stimmen, die die Alternative für Deutschland in dem Land geholt hat, haben jetzt schon Geschichte geschrieben. Deutschland und die Welt diskutieren über die Zukunft von Kanzlerin Angela Merkel. Das kleine Land ist plötzlich ganz groß.

So wenig Mecklenburg-Vorpommern war noch nie. Das Ergebnis der Landtagswahl mag so etwas wie eine Schockwelle ausgelöst haben und doch redet kaum einer darüber, was das Bindestrichland mit seinen 1,3 Millionen Wahlberechtigten eigentlich ist. Dass das Schloss in Schwerin, in dem der Landtag seinen Sitz hat, ganz schön anzusehen ist, das ist beinahe schon das einzig Landeskundliche, was von der Berichterstattung über Mecklenburg-Vorpommern bleiben könnte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Reinhard Müller von einem „dünn besiedelten und allenfalls zeitweise mit Touristen vollen Land“. Immerhin. Aber viel mehr Meck-Pomm war nicht in den Tagen nach der Wahl, die so angesehen wird, als sei sie eine bundesweite Volksabstimmung über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gewesen.

Da gibt es zwar die Debatte, ob man als aufrechter Demokrat noch Urlaub in Orten an der Ostsee machen sollte, in denen bisweilen die Hälfte aller Wähler für die AfD oder die NPD gestimmt haben, doch wahrscheinlich hat der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern recht, wenn er davon ausgeht, dass sich das Wahlergebnis nicht negativ auf die Übernachtungszahlen im Land auswirken wird.

Die Begründung ist einleuchtend, auch wenn man sie durchaus als traurig bezeichnen kann. In Frankreich sei der rechtsgerichtete Front National sehr stark, trotzdem fahren deutsche Urlauber auch weiterhin genau in die Regionen, in denen die Partei von Marine Le Pen besonders erfolgreich ist. So sagte er der Sprecher des Landestourismusverbands, Tobias Woitendorf.

Diese kleine Debatte nicht mehr als eine Miniversion der beinahe schon vergessenen Säxit-Diskussion, die zu Hochzeiten der Pedida-Spaziergänge geführt wurde. Sollen diese komischen Sachsen ihr Ding doch alleine machen, war der Tenor damals. Eine EmVauxit-Debatte wurde in den Tagen nach der Wahl übrigens nicht geführt. Kein Wunder, es wird ja über das Große und Ganze für das große und ganze Deutschland diskutiert. Eine Debatte darüber, warum diese merkwürdigen Fischköpfe, die so lange als die Abgehängtesten der Abgehängten bezeichnet wurden, so rechts wählen, wäre ohnehin kaum zu begründen.

Wo auch immer die AfD antritt, wird sie in die Landtage gewählt. Zöge man all diese Länder einfach von Deutschland ab, es blieben nur die Länder übrig, in denen schon länger keine Landtagswahl mehr stattgefunden hat.

Eines dieser Länder ist Bayern. Dort hat man sich eigentlich nicht mehr für Mecklenburg-Vorpommern interessiert, seit 1997 die Unterhaltungsserie „Ein Bayer auf Rügen“ ausgelaufen ist. Welch Bild man im Süden von dem Land im Norden hat, wurde am Montag beim Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg deutlich, als Hubert Aiwanger der Chef der im bayerischen Landtag mit 19 Abgeordneten vertretenen Freien Wähler zum politischen Frühschoppen vor das Volksfestpublikum getreten ist. Der wetterte wie so viele in diesen Tagen gegen Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik und sagte doch tatsächlich, die mache eine Politik, „wo man den Eindruck hat, dass sie immer noch für die Stasi unterwegs ist“.

Warum wegen dieser Äußerung noch kein Proteststurm aufgekommen ist und noch keine Debatte darüber geführt wird, ob man in Bayern eigentlich noch guten Gewissens Urlaub machen könne, ist eine Frage, deren Klärung noch aussteht. Auch das Verhalten der CSU ist durchaus dazu angetan, eine Reisewarnung für das Urlaubsland Bayern auszusprechen. So viel plumpes „Ausländer raus!“ zur besten Sendezeit in allen Nachrichten war selten.

Und wenn CSU-General Andreas Scheuer schon mit den immer gleichen und ganz sicher gut vorbereiteten Stanzen eine Begrenzung der Einwanderung fordert, dann sollte es eigentlich nicht allzu schwer sein, wenigstens semantisch sinnvolle Wortgebilde von sich zu geben. Man versteht schon, was er meint, wenn er eine „Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten“ verlangt, aber so richtig gelungen ist die Formulierung nicht. Und mit Mecklenburg-Vorpommern hat sie sowieso nichts zu tun.

Auch in Bayern geht der Blick gen Norden. Dabei hat man sich da nicht mehr für Mecklenburg-Vorpommern interessiert, seit die TV-Serie „Ein Bayer auf Rügen“ ausgelaufen ist

Das Land hat auch deshalb nach der Landtagswahl so an Bedeutung gewonnen, weil Angela Merkel da ihren Bundestagswahlkreis hat. Ihre politische Heimat liege in Mecklenburg-Vorpommern, heißt es immer wieder und beinahe niemanden fällt auf, dass es eigentlich nicht Regionen sind, die jemanden eine politische Heimat bieten, sondern für gewöhnlich Parteien. Merkels politische Heimat ist immer noch die Partei, deren Vorsitzende sie ist, die CDU. Aber derartige Unschärfen werden in den Zeiten der aufgeregten Debatten um das von der AfD beschworene Ende der Kanzlerschaft Merkels allzu gerne übersehen.

Es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, die politische Heimat von Leif-Erik Holm im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zu verorten, wo er bis jetzt mit Frau und Kind wohnt. Die ist immer noch die AfD. Und nur wer es sich ganz schwer machen will, sucht die politische Heimat des selbst ernannten SPD-Wahlsiegers Erwin Sellering, der wohl Ministerpäsident bleiben darf, irgendwo zwischen seinem Geburtsort Sprockhövel in Nordrhein-Westfalen und Schwerin statt einfach in der SPD.

Und weil der nun auch mit der Linken sprechen will, bevor er dann wahrscheinlich doch wieder mit der CDU eine Koalition bildet, scheint doch tatsächlich wieder ein wenig Landeskunde durch in der Berichterstattung über Mecklenburg-Vorpommern. Die Geschichte des Landes als Teil des SED-Staats wird Thema, wenn Sellerings vor fünf Jahren formulierte These, die DDR sei kein „totaler Unrechtsstaat“ gewesen, bemüht wird, um die Sondierungsgespräche mit der Linkspartei ein wenig zu diskreditieren.

Leeres Land, Stasi, Kanzlerinnenheimat und Unrechtsstaat. Es ist wirklich nicht viel Mecklenburg-Vorpommern in der Berichterstattung über Mecklenburg-Vorpommern.