Groß werden und sauber bleiben

Wachstum Das Engagement großer Supermarktketten im Fair-Trade-Bereich ist nicht unumstritten. Einige Akteure fordern mehr gesetzlichen Druck, um den Einzelhandel auf den fairen Handel einzuschwören

Menschenwürdig leben und arbeiten für 2,5 Millionen Produzenten

von Christine Berger

Die gute Nachricht: Der Fair-Trade-Handel in Deutschland wächst derzeit wie kein anderes Marktsegment. Rund 18 Prozent Umsatz-Plus verzeichnete die Branche in 2015. In 15 Produktgruppen erzielte Fair-Trade im vergangenen Jahr insgesamt über eine Milliarde Euro Umsatz. Das ist auch den über 100.000 Engagierten in Deutschland zu verdanken, die sich um den Vertrieb fair gehandelter Lebensmittel und Textilien kümmern. Von Weltläden und Aktionsgruppen wurden im Jahr 2015 Waren im Wert von 76 Millionen Euro verkauft. Die schlechte Nachricht: Fair Trade ist immer noch ein Nischenprodukt, allein der Gesamtumsatz an Lebensmitteln in Deutschland betrug im vergangenen Jahr rund 191 Milliarden Euro. Doch ähnlich wie beim Thema Biolebensmittel setzt sich im deutschen Einzelhandel langsam die Erkenntnis durch, dass für faire Produkte ein Markt existiert und Kunden durchaus bereit sind, den einen oder anderen Euro extra zu zahlen, wenn die Entlohnung der Bauern stimmt. „Immer mehr deutsche Konsumenten entscheiden sich für Produkte mit einem ethischen Mehrwert und sind bereit, dafür einen höheren Preis als den Marktpreis zu zahlen, also eine Art freiwillige Subvention (Spende) zur Durchsetzung besserer Lebensbedingungen für die Kleinbauern der südlichen Hemisphäre“, weiß Hans Bass, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Bremen, der sich unter anderem mit nachhaltiger Wirtschaft beschäftigt.

Für rund 2,5 Millionen Produzenten und ihre Familien trägt der faire Handel weltweit zu menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen bei. Lebensmittel machen mit 79 Prozent den größten Anteil am Absatz von fair gehandelten Produkten zu Endverbraucherpreisen in Deutschland aus, 80 Prozent davon stammen aus kontrolliert biologischem Anbau. Zum Beispiel Bananen: Rund 10 Prozent aller verkauften Früchte in Deutschland ziert mittlerweile das Fair-Trade-Siegel. Ein Grund dafür ist, dass große Supermarktketten auf den Zug aufgestiegen sind und auf die gesteigerte Nachfrage nach fair gehandeltem Kaffee, Bananen oder Blumen reagieren. Die großen Supermarktketten ebenso wie die Discounter weiten ihr Angebot in diesem Segment ständig aus. Sie verkaufen neben Fair-Trade-Schokolade und -Kaffee vor allem -Rosen, die deutschlandweit einen Marktanteil von 25 Prozent haben. Rosen, die aus Kenia kommen, sind zu 50 Prozent Fairtrade-zertifiziert.

Das Engagement großer Supermarktketten im Fair-Trade-Bereich ist nicht unumstritten. Schließlich liegt die Fairtrade-Ware häufig direkt neben derjenigen, die unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt wird. Billigkleidung aus Bangladesch etwa oder konventionelle Bananen, die Bauern zum Dumpinglohn ernten müssen. Fair-Trade-Organisationen wie Transfair, GEPA oder El Puente, die teilweise im Forum für fairen Handel als Dachverband organisiert sind, fordern daher mehr gesetzlichen Druck, um den Einzelhandel auf den fairen Handel einzuschwören.

Dass der Markt auch ohne gesetzliche Handhabe wächst und Konsumenten öfter zu fair gehandelten Produkten greifen als früher, ist für Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forums Fairer Handel, auch dem größeren Wissen um die Herstellung der Produkte geschuldet. „Fair-Trade-Produkte zu kaufen ist keine Modeerscheinung mehr, sondern hat sich in der Gesellschaft etabliert.“ Nicht zuletzt habe dazu auch die Informations- und Aufklärungsarbeit der Fair-Trade-Organisationen beigetragen.

Trotzdem gibt es für die Verfechter einer gerechteren Warenwelt noch viel zu tun, denn nur ein Bruchteil der insgesamt 450 Millionen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft bekommt einen angemessenen Lohn. Das führt auch zunehmend dazu, dass der Nachwuchs in die Städte flüchtet, weil er sich dort ein besseres Leben erhofft. In Ansätzen führt dies bereits dazu, dass sich große Konzerne mehr um die Lebensqualität der Beschäftigten auf den Plantagen kümmern müssen, um mittelfristig Erträge im benötigten Umfang zu generieren. „Auch für die Liefersicherheit müssen bessere Bedingungen geschaffen werden“, weiß Claudia Brück, Vorstandsmitglied bei Fairtrade Deutschland. Das gehe nur über eine angemessene Bezahlung der geleisteten Arbeit. „Umwelt-, Sozial- und Lohnkosten spielten bei den Kosten der gesamten Lieferkette bislang keine große Rolle.“ Daher sende die gestiegene Nachfrage nach Fair-Trade-Produkten auch ein klares Signal: „Fair Trade muss Alltag werden.“ Das sieht Wirtschaftswissenschaftler Buss schon kommen, wenn auch aus marktwirtschaftlicher Sicht. Seine Prognose: Das Umsatzplus bei Fair-Trade-Produkten werde auch in Zukunft eher durch tiefere Marktdurchdringung entstehen (also mehr Fair-Trade-Produkte bei den großen Supermärkten) als in der Breite (Einbeziehung von kleinen Händlern, auch abseits der Ballungsgebiete). „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es daher sinnvoller, bei den großen Händlern „am Ball zu bleiben“. Wenn auch aus politischer Sicht eine Ausbreitung in die Fläche wünschenswert wäre.