Himalaja-Gletscher schmelzen weg

Die globale Erwärmung taut auch den „dritten Pol“: Binnen 30 Jahren hat sich die Fläche der Gletscher im welthöchsten Gebirge um 17 Prozent verringert. Das bedroht die Wasserversorgung in China. Und es treibt den Klimawandel weiter voran

Aus Peking GEORG BLUME
und JOHANN VOLLMER

Die Gletscher des Himalaja-Gebirges schmelzen – und das zehnmal schneller als in den letzten 300 Jahren. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine von der Umweltorganisation Greenpeace gestern in Peking veröffentlichte Studie der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Die Experten sehen das als einen weiteren Beleg, dass der weltweite Klimawandel schon weiter fortgeschritten ist als bislang angenommen.

Das Himalaja-Gebirge gilt unter Klimaforschern neben Arktis und Antarktis als „dritter Pol der Welt“. Die Studie belegt nun, dass sich seine riesigen Gletscher im Quellgebiet des Gelben Flusses in den vergangenen 30 Jahren um 17 Prozent verkleinert haben. Damit wurden dem Ökosystem über zwei Milliarden Kubikmeter Wasser entzogen. Zunehmende Verdunstung, ausbleibender Regen und Abfluss des Wassers verstärken den Effekt.

Die Hauptursache für die Gletscherschmelze sei der Klimawandel, betont der Autor der Studie, Professor Liu Shiyin vom Umweltforschungsinstitut der nordwestchinesischen Stadt Lanzhou, einem Zweig der Akademie der Wissenschaften. In den letzten 50 Jahren sei die Durchschnittstemperatur der Himalaja-Region im Zuge der globalen Erwärmung um 0,88 Grad Celsius gestiegen. Diese scheinbar geringe Veränderung habe massive Auswirkungen.

Für Steve Sawyer, Chef-Klimaexperte der Umweltorganisation Greenpeace, geht es nicht nur um ein chinesisches Problem: Taut das Himalaja-Gebirge, beschleunigen zusätzliche Treibhausgase, die aus dem Eis in die Atmosphäre gelangen, wiederum die globale Erwärmung.

Die unmittelbarsten Folgen drohen aber in China. Greenpeace-Mitarbeiter berichten von den Folgen des aufgetauten Permafrostbodens auf dem tibetischen Hochland: Häuserwände wiesen tiefe Risse auf, auf der Nationalstraße 214 ins tibetische Hochland „tanzten“ die Autos über vom aufbrechenden Erdreich verursachte Bodenwellen. Alle drei Jahre müsse die chinesische Regierung die Straße grundsanieren.

Auch der Grundwasserspiegel sinkt infolge der Schmelze der Permafrostböden. 3.000 von 4.077 Seen im für die Wasserversorgung Chinas so wichtigen Quellgebiet des Gelben Flusses sind bereits ausgetrocknet. „Die Menschen berichten von Seen mit ehemals hüfttiefen Wasser, das ihnen jetzt nur noch an die Waden reicht“, sagt Li Moxuan, Klimabeauftragte von Greenpeace in China.

Der Gelbe Fluss entspringt auf der tibetischen Hochebene und sammelt dort 38 Prozent seiner Wassermenge, die er nach 4.845 Kilometern an der Ostküste Chinas ins Gelbe Meer entlässt. 120 Millionen Menschen sind auf sein Wasser angewiesen. Die Studie trägt deshalb den Namen „Der gefährdete Gelbe Fluss“. Von den ausgetrockneten Seen an der Quelle des Flusses gehe ein Domino-Effekt aus, so Autor Liu: „Er wirkt sich auf Flora, Fauna, Landschaft und die Menschen am Gelben Fluss aus – und schadet dem Fluss selbst.“