Das Land tritt auf der Stelle

Wirtschaft Spanien lässt sich derzeit zwar recht geräuschlos verwalten – doch die Haushaltsmittel sind aufgebraucht

MADRID taz | Die Ansicht, dass man auch ohne Regierung ganz gut zurechtkommt, ist auf den Straßen Spaniens populär geworden – ein Zeichen der Politikverdrossenheit in Zeiten, in denen die Spanier schon zufrieden sind, wenn ihr Land halbwegs ehrenhaft verwaltet wird.

Diese Haltung verkennt für den Politologen Pablo Simón vom Thinktank „Politikon“ den Ernst der Situation. Dank der niedrigen Energiepreise lasse sich das Land recht geräuschlos verwalten, sagt Simón. Aber die Spanier übersähen, welche Chancen sie ungenutzt ließen, weil ihr Land auf der Stelle tritt. Simón meint damit zum Beispiel die Investitionen, die ausländische Unternehmen zurückhalten, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht.

Auch die Gewerkschaften warnen vor einer Fortsetzung der regierungslosen Zeit. Die für dieses Jahr vorgesehenen Mittel im Haushalt, den das spanische Parlament mit der damals absoluten Mehrheit der Volkspartei noch vor den Wahlen im Dezember gebilligt hat, seien bereits seit Juli aufgebraucht, warnt etwa die spanische Gewerkschaft UGT. Seither gebe es nur noch für das Nötigste Geld. Für eine Aufstockung der Haushaltsposten, gar für einen Nachtragshaushalt fehlt es an einer Regierungsmehrheit.

Neue Teilstrecken für bereits in Bau befindliche In­fra­struk­turmaßnahmen würden so nicht mehr ausgeschrieben. Der Schienenbetreiber der Bahn hat in diesem Jahr fast die Hälfte weniger Projekte ausgeschrieben als 2015. Insgesamt ist das Auftragsvolumen der öffentlichen Verwaltung für private Unternehmen allein im ersten Quartal um ein Viertel gesunken. Während große Baukonzerne eine solche Zeit überbrücken können, entlassen Subunternehmen bereits Leute, warnen Gewerkschaften.

Auch die Kommunen beginnen zu klagen. Sie bekamen bislang staatliche Mittel für soziale Dienstleistungen wie städtische Kindergärten oder Altenzen­tren. Die Volkspartei verabschiedete jedoch in der vergangenen Legislaturperiode eine umstrittene Kommunalreform, nach der die Kommunen diese Aufgaben auf die Regionen über­tragen müssen. Doch die dafür versprochenen Mittel stellt die Regierung mit ihrem ausgereizten Haushalt nicht bereit, und die Regionen wollen keine neuen Aufgaben ohne Finanzierung übernehmen. So betreibt zum Beispiel die 85.000-Einwohner-Stadt Rivas-Vacia­ma­drid in der Nähe von Madrid ihre Kindergärten und Altenzentren ohne die bisherigen Subventionen weiter und hofft daher, dass die regierungslose Zeit bald vorüber ist

Hans-Günter Kellner