Burkiniverbot und Grundrechte: Was ist akzeptabel? Und für wen?

Frankreich diskutiert darüber, ob ein Verbot des Burkinis verhältnismäßig ist. Die Regierung beruft sich auf das Prinzip einer strikten Laizität.

Ein uniformierter Polizist beobachtet den Strand von Cannes

Baywatch Cannes: Wer hat hier zu viel an? Foto: dpa

PARIS taz | Mit dem Burkini-Verbot an mehreren französischen Stränden eskaliert eine alte Polemik. Begonnen hatte diese 1989 mit dem Verbot des Kopftuchs und aller anderen „ostentativen“ Zeichen religiöser Konfessionen in staatlichen Schulen. Im Jahr 2010 nahm sie mit dem gesetzlichen Verbot von Nikab oder Burka in der Öffentlichkeit an Schärfe zu.

Frankreich beruft sich auf eine strikte, seit 1905 geltende Trennung von Religion und Staat. Diese Laizität garantiert einerseits die Neutralität der Republik gegenüber allen Konfessionen und die Glaubensfreiheit, umgekehrt verbietet sie jede religiöse Einmischung.

Natürlich muss die jetzige Auseinandersetzung in den Kontext der Attentatswelle seit 2015 gestellt werden. Spätestens seit dem Anschlag in Nizza, als am Nationalfeiertag ein Mann aus mutmaßlich islamistisch-terroristischem Motiv mit einem Lkw in die Menge raste und mehr als 80 Menschen tötete, ist die Stimmung angespannt.

David Lisnard, Bürgermeister von Cannes, erließ in diesem Sommer als Erster ein solches kommunales Verbot, das auf einen integralen Badeanzug abzielt. Vom Burkini ist darin nicht explizit die Rede, sondern ziemlich vage von „korrekter sittlicher und der Laizität gemäßen Bekleidung“. Das lässt viel Raum für Interpretation, macht Übergriffe fast unvermeidlich. Lisnards Amtskollegen in Nizza, Menton, Beaulieu-sur-Mer und Le Touquet folgten seinem Beispiel.

Konservative wollen noch weiter gehen

Premierminister Manuel Valls hat dies begrüßt, denn der Burkini entspreche einem „politischen Projekt von einer Gegengesellschaft und der Unterjochung der Frau“. Ein nationales gesetzliches Verbot hält er dennoch nicht für notwendig. Die konservative Opposition hingegen möchte am liebsten weit über Bekleidungsvorschriften hinausgehen und etwa die Ausbildung von Imamen unter staatliche Kontrolle stellen.

Nach Klagen hatte eine lokale Gerichtsinstanz entschieden, dass der kommunale Erlass in Cannes rechtlich zulässig sei. Am Donnerstag befasst sich nun auch das oberste Verwaltungsgericht damit.

Es geht bei dem am Donnerstag beginnenden Verfahren neben der Frage der Verhältnismäßigkeit auch darum, zwei Grundrechte gegeneinander abzuwägen: auf der einen Seite das Recht der Gesellschaft, Regeln für das friedliche Zusammenleben zu definieren – gegebenenfalls mit Verboten und Strafandrohung.

Andererseits geht es um das individuelle Recht der Glaubensausübung. Im Fall des Burkinis oder der Burka kommt die Frage hinzu, ob diese als Glaubensfrage oder mehr als regionaler Brauch zu betrachten ist. Schließlich könne eine französische Muslimin auch ihren Glauben praktizieren, ohne sich von Kopf bis Fuß zu verschleiern.

Terroristen würden Burkinis nicht tolerieren

Die australische Erfinderin des Burkinis hält dagegen, das Kostüm ermögliche es Strenggläubigen gerade, an öffentliche Strände zu gehen. Diese Ansicht teilt der französische Religionsexperte Olivier Roy: Die Terroristen des IS würden das Baden mit Burkini niemals tolerieren. Zumindest in zwei Fällen, angeblich auf Ersuchen erboster Strandgäste, bestraften oder belästigten übereifrige Polizisten nun Frauen, die lediglich Leggins und Kopftuch trugen. Wenn andersherum Frauen nach dem Verbot in Cannes in Burkini an den Strand gehen, kann man das zumindest als Protestform sehen, die unweigerlich Reaktionen auslösen muss.

Was definitiv zunimmt, sind verbale Aggressionen gegen verschleierte Frauen im Stil von „Geh zurück, wo du herkommst!“. Das gegenseitige Unverständnis nimmt zu. Das sollte nicht der Sinn der Gesetzgebung sein.

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