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Die extremen Wahlergebnisse an der Ostseeküste führen zu einer erhitzten Diskussion: Kann man da noch Urlaub machen?

Usedom – will ich da noch hin?

Strandstreit In einigen Gemeinden der Ferieninsel haben bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern über 50 Prozent für AfD und NPD gestimmt. Nun wird diskutiert, ob Usedom noch ein geeigneter Urlaubsort ist. Tourismusverband verzeichnet erste Absagen

Soll man der Insel einen Korb geben? Strand im Seebad Heringsdorf auf Usedom Foto: Georg Knoll/laif

von Dinah Riese

BERLIN taz | Da möchte man nicht wohnen: Auf der Ostseeinsel Usedom haben am Sonntag je nach Gemeinde zwischen 32 und 52 Prozent der Wähler für AfD oder NPD gestimmt. Das ist unangenehm. So unangenehm, dass in den sozialen Medien gerade heiß diskutiert wird: Möchte man da überhaupt noch Urlaub machen?

„Mir ist die Lust auf Usedom vergangen“, twittert etwa Anke Domscheit-Berg, Karriereberaterin, Feministin und Politikerin aus Berlin. „Mir reicht, wenn ein Drittel bis die Hälfte fremdenfeindlich, rassistisch und frauenfeindlich sind. Da will ich nicht sein.“ Und André Schulz, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), erklärt: „Ich war noch nie auf Usedom. Das wird die nächsten fünf Jahre auch so bleiben.“

Gerade noch hatte der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern das erste Halbjahr 2016 als „bestes der Landesgeschichte“ erklärt. Nun habe es bereits Zuschriften gegeben, in denen Menschen ihre „Ungläubigkeit und Bestürzung über das Ergebnis“ zum Ausdruck bringen, sagte Beate Johannsen, Vorsitzende des Tourismusverbandes der Insel Rügen, der taz. Es gebe auch „Entscheidungen, erst einmal Abstand von einem Urlaub auf Usedom zu nehmen“. Das gelte aber nicht für alle Zuschriften. Der Verband werde sich „weiterhin darum kümmern, die Insel Usedom als weltoffene und tolerante Destination zu präsentieren“.

Tobias Woitendorf vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern sagte, die Zuschriften zeigten die Spaltung der Gesellschaft: Angeekelte Absagen, Gäste, die trotzdem kommen wollen – und auch solche, die sich über den Erfolg der Rechten freuen und nun gerade an einem Urlaub auf der Insel interessiert sind.

Die Angst vor einem spürbaren Imageschaden ist berechtigt: Unter dem Hashtag #Usedom finden sich auf Twitter statt Fotos von Stränden Tabellen mit Wahlergebnissen und „Reisewarnungen“. „Da will ich nicht braun werden“, schreibt einer, „dann geht es in Zukunft eben wieder an die Nordseeküste“, eine andere. Eine Userin postet den Scan eines Stornierungsbriefs für ein Ferienhaus, ob echt oder symbolisch, ist unklar. Die Botschaft aber ist eindeutig: „Ich kann und will meinen Freunden nicht zumuten, sich zwei Kilometer Luftlinie von Peenemünde aufhalten zu müssen, wo 52,4 Prozent der Wähler sich dafür entschieden haben, AfD beziehungsweise NPD zu wählen.“

Manchem User ist das „Insel-Bashing“ zu viel, andere sagen, dadurch werde das Problem auch nicht gelöst. Eberhard Seidel jedenfalls hat seinen gebuchten Urlaub auf Usedom abgesagt. Er könne und wolle „in keiner Region Urlaub machen, in der Rassismus und Fremdenhass zumindest für einen relevanten Bevölkerungsanteil zum guten Ton gehören“, erklärt der Geschäftsführer von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ in einem Text auf taz.de. Das Netzwerk werde dort weiter antirassistische Kräfte stärken – „aber meinen Urlaub verbringe ich nur da, wo ich mich wohl fühle.“

Gesellschaft + Kultur

JA
jetzt erst recht

Weißer Sand, Kiefernwälder, kühles Klima – ich fahre ausgesprochen gern an die Ostsee. Auf die polnische Seite, nach Świnoujście oder Leba, nach Kalmar in Schweden – oder eben nach Heringsdorf auf Usedom. Zwar ist es nicht gerade schön zu wissen, dass Heringsdorf zu 38,8 Prozent unsympathisch ist: 32,8 Prozent der WählerInnen stimmten dort bei der Landtagswahl am Sonntag für die AfD und 6 Prozent für die NPD. Trotzdem fahre ich weiter dorthin.

Auch wenn ich mir die Tattoos des Bootsverleihers in Zukunft etwas genauer anschauen oder mich bei der netten Pensionsbetreiberin unweigerlich fragen werde, ob sie auch zu denen gehört, die sich von der AfD vertreten fühlen: An meiner Urlaubsentscheidung ändert das Wahlverhalten der Usedomer Einwohner nichts.

Erstens halte ich es für unsinnig, eine ganze Ferienregion dafür zu „bestrafen“, dass dort Unsinn gewählt wird. Zweitens sind 38,8 Prozent nicht alle, und nicht alle, die AfD gewählt haben, sind auch beinharte Nazis, in deren Nähe ich es nicht aushalten würde. Im Übrigen verstehe ich mich als Demokratin und Bürgerin.

Als Demokratin muss ich es aushalten können, dass es Menschen gibt, deren Weltbild mir gegen den Strich geht. Ich komme aus einer Region, in der jeder Zweite die CSU und zeitweise jeder Vierte die „Republikaner“ gewählt hat. Es gibt keine arschlochfreien Zonen und noch weniger gibt es den Anspruch darauf, im Urlaub nicht mit dämlichen Statements belästigt zu werden.

Als Bürgerin halte ich es außerdem für meine Pflicht, mich auch mit Leuten auseinanderzusetzen, die komische Ansichten vertreten, aber eventuell noch für rationale Argumente empfänglich sein können. Nur zur Erinnerung: Viele von denen, die jetzt ihr Kreuz bei der AfD machen, haben bei der letzten Wahl den Hintern gar nicht hochbekommen – oder CDU beziehungsweise SPD gewählt.

So schnell können diese Leute nicht zu ideologisch gefestigten Nazis geworden sein. Mit denen zu diskutieren käme mir auch nicht in den Sinn. Doch Menschen, die, warum auch immer, aus der Mitte nach rechts gerückt sind, zu Monstern abzustempeln, von denen man nicht einmal mehr ein Fischbrötchen kaufen will: das scheint mir einigermaßen hysterisch.

Ein politischer Boykott der Urlaubsregion würde zudem die am härtesten treffen, die in einer schwierigen Umgebung die Fahne der Zivilgesellschaft hochhalten. Sie nun mit den Rechten allein zu lassen, ist ein falsches Signal. Usedom bleibt Urlaubsziel auch für Linke – alles andere könnte den Rechten so passen. Nina Apin

NEIN
jetzt nicht mehr

Na, verabreden Sie sich auch immer mit ihren Freundinnen und Freunden in Kneipen, von denen Sie wissen, dass sie von einem Stammpersonal überwiegend aus der ganz rechten Ecke frequentiert wird? Ach, in solche Kneipen gehen Sie nicht, weil Sie sich dort äußerst unwohl fühlen würden? Kann ich gut verstehen, geht mir genauso. Und deswegen mache ich auch nicht meinen Urlaub in Gemeinden wie Garz, Peenemünde oder Blesewitz auf Usedom.

Das liegt nicht daran, dass ich mich von jenen stolzen Deutschen, die in diesen Ortschaften am Sonntag mehrheitlich die AfD oder die NPD gewählt haben, persönlich bedroht fühlen würde. Als mitteleuropäisch aussehender Mensch, der äußerlich auch nicht als „linke Zecke“ erkennbar ist, bin ich privilegiert: Ihre Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen andere Fremde. Doch ich kann nicht unbeschwert meine Ferien in einer Gegend verbringen, in der ein relevanter Bevölkerungsanteil aus rechten Arschlöchern besteht. Wenn ich (fast) die ganze Welt zur Auswahl habe, warum soll ich ausgerechnet dort buchen, wo Rechtsradikale das gesellschaftliche Klima prägen? Das ist durchaus eine politische, aber gleichwohl meine ganz persönliche Entscheidung: Ich fühle mich dort schlichtweg nicht wohl.

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich lehne es nicht generell ab, nach Usedom zu fahren. Selbstverständlich war es richtig, dass die taz bei ihrer „Tour für eine offene Gesellschaft“ dort Station gemacht hat. Aber das ist eben etwas anderes. So wie es einen Unterschied macht, ob ich unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in der Türkei am Strand von Antalya urlaube oder bedrängte KollegInnen und FreundInnen in Istanbul besuche. Weder auf Usedom noch in der Türkei dürfen wir die Menschen, die für demokratische Werte kämpfen, alleine lassen. Aber deswegen muss ich noch lange nicht die dortige Tourismusindustrie unterstützen.

Anderen mögen politische Verhältnisse bei der Wahl ihres Urlaubsorts nicht wichtig sein – solange damit nicht eigene Einschränkungen verbunden sind. Entscheidender war für die große Mehrheit der BundesbürgerInnen stets, ob die Sonne scheint und der Preis stimmt. Daher war Spanien schon zur Zeit des faschistischen Diktators Franco ein beliebtes Urlaubsziel.

Solange nur geplante Flüchtlingsheime auf Usedom brennen und kein Hotel, wird auch die Insel gut frequentiert bleiben. Ebenso wie jene zwölf französischen Kommunen, in denen der rechtsextreme Front National regiert, wird sie auf mich jedoch verzichten müssen. Ich kann und will auch im Urlaub nicht wegschauen. Es gibt genug Alternativen. Pascal Beucker