Dank der Regierung

Dissidenz In der Zionskirche sind Karikaturen Dirk Moldts aus den „Umwelt-Blättern“ zu sehen

„Im Grunde konnte man dieses System nur zerstören“ – dieser Auffassung ist Karikaturist Dirk Moldt, wenn er über das Regime der SED in der DDR spricht. 1986 hatte Moldt gemeinsam mit einigen anderen Oppositionellen, diversen verbotenen oder schwer zu beschaffenden Büchern und einer Druckmaschine die Kellerräume der Ostberliner Zionsgemeinde bezogen, um dort ein Café und eine Galerie zu eröffnen – und nicht zuletzt unter widrigsten Bedingungen die Umwelt-Blätter herauszugeben. Druckutensilien mussten aus dem Westen geschmuggelt werden, und Papier war grundsätzlich knapp.

Die Texte, die sich inhaltlich mit Umwelt- und Menschenrechtsfragen auseinandersetzten, wurden konsequent humorvoll begleitet von den Karikaturen Moldts. Der Plan der Redaktionsmitglieder, zu veröffentlichen, was die staatlich gelenkte Presse verschwieg, und somit das Informationsmonopol der SED zu unterlaufen, schien aufzugehen: Das Interesse an den Umwelt-Blättern war riesig, und nach der Eröffnung der Galerie 1987 zog es immer mehr Interessierte in die Kellerräume der Zionskirche, wo auch Moldt zum ersten Mal seine Karikaturen ausstellte.

Seitdem hatte Moldt seine Karikaturen nicht mehr öffentlich gezeigt – bis jetzt. Bis zum 2. Oktober können sich Interessierte die unter dem Motto „Anarchie und Keller(t)räume“ ausgestellten Comics in der Zionskirche ansehen und sowohl von der Geschichte der Umwelt-Bibliothek als auch etwas über den damaligen Humor erfahren. So gibt es beispielsweise eine Grafik, in der die von Michail Gorbatschow ausgerufene, unter dem aus dem Russischen stammenden Schlagwort „Glasnost“ bekannte sowjetische Politik der Transparenz und Offenheit thematisiert wird. In der Zeichnung heißt es: „Wir haben Glasflaschen, Glasfasern, Glasaugen und Glasbrillen – aber jetzt haben wir auch noch Glasnost!“ – „Die Leute haben sich damals gekrümmt vor Lachen, als sie das gelesen haben“, erinnert sich Moldt.

Macht weiter so, Jungs!

Moldt zeichnete auch nach dem Überfall auf die Umwelt-Bibliothek in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1987, als Beamte der Staatssicherheit alle Anwesenden festgenommen und sämtliche Materialien beschlagnahmt hatten, und von der breiten Solidarität, die die Redaktionsmitglieder im weiteren Verlauf durch die Bevölkerung erhielten und die letztlich zur Freilassung der Inhaftierten führte. Die Umwelt-Bibliothek gelangte so zu weltweiter Bekanntheit, und in der nächsten Ausgabe der Umwelt-Blätter brachte die Redaktion ihre Dankbarkeit gegenüber der Regierung zum Ausdruck: „Wir denken in diesem Zusammenhang besonders gern an die großartige weltweite Gratis-Reklame für die Umwelt-Bibliothek und rufen der DDR-Regierung zu: Macht weiter so, Jungs!“

Moldts Karikaturen halten die Erinnerung daran wach, dass Widerstand und Selbstermächtigung möglich sind – selbst unter einem Regime, das keine Freiheit zuzulassen scheint. Und gleichzeitig lassen sie die BesucherInnen spüren, wie hilfreich es sein kann, sich über die Form des Humors bewusst von einer schmerzlichen Wirklichkeit zu distanzieren. Annika Glunz