DGB-Chefin über Diako in Bremen: „Die Zeit der Nonnen ist vorbei“

Die Bremer DGB-Chefin Annette Düring über den Dritten Weg der Kirchen, Professionalisierung im Job und die Frage, was uns Pflege wert sein muss

Hände einer älteren Person fassen nach einem Griff im Krankenhaus

Hier werden sie viel zu günstig geholfen: Diakonie Foto: dpa

taz: Die Tarifverhandlungen im Diakonischen Werk kommen seit Monaten nicht voran, jetzt gibt es einen offenen Brief mit 1000 Unterschriften an die Geschäftsführung – was ist da los?

Annette Düring: Das Problem ist, dass die Diakonie momentan nicht verhandelt, sondern diktiert.

Dabei handelt es sich doch um eine „Dienstgemeinschaft“, wie die Diakonie es nennt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer ziehen an einem Strang…

… ja, im Dienst an dem Menschen und für Gott. So ist es aber nicht mehr. Die MitarbeiterInnen sagen: Wir machen hier einen Job, und dafür werden wir bezahlt. Die Zeit der Nonnen ist vorbei! Hier wird professionelle Arbeit geleistet. Das muss auch die Diakonie lernen.

Künftig sollen die Mitarbeitenden drastische Kürzungen hinnehmen: Einem Lohnplus von jetzt 2,6 Prozent soll eine Stunde Mehrarbeit gegenüberstehen, die Reduzierung der Jahres­sonderzahlung und der Wegfall von Kinder- und Pflegezuschlägen.

Anstatt immer weiter zu kürzen, müssen sich auch die Arbeitgeber fragen: Was muss ich leisten? Diese Frage hat sich die Diakonie noch gar nicht gestellt.

Ein zentraler Unterschied zwischen dem Dritten Weg der Kirchen und dem normalen Arbeitsrecht ist das Streikrecht. Sollte sich die Diakonie auf die Forderungen der MitarbeiterInnen einlassen, dürften die künftig für ihre Forderungen die Arbeit niederlegen.

Streik ist für Gewerkschaften immer das letzte Argument. Das wird in jedem einzelnen Fall genau überlegt. Und ich weiß aus dem Sozialbereich, dass gerade dort sehr genau diskutiert wird: Man will die Leute nicht im Stich lassen, die MitarbeiterInnen dort sind sich ihrer Verantwortung für die Menschen sehr bewusst. Aber abgesehen davon: Es gibt für solche Fälle immer einen Notbetrieb, der aufrechterhalten wird – niemand wird plötzlich nicht mehr gepflegt, nur weil es einen Streik gibt.

Der Dritte Weg bezeichnet die Selbstorganisation der Kirchen im Arbeitsrecht. Gehälter und Tarife werden in einer paritätisch besetzten Kommission aus Arbeitgeber und Arbeitnehmern ausgehandelt – Grundlage ist die Idee einer „Dienstgemeinschaft“. In Niedersachsen hat sich die Diakonie bereits vom Dritten Weg verabschiedet und handelt Tarifverträge mit Ver.di aus. Das ist auch die zentrale Forderung der Unterzeichner des offenen Briefes, der nun an die Geschäftsführung der Bremer Diakonie übergeben wurde: Abkehr vom Dritten Weg und Übernahme des niedersächsischen Modells.

Historisch leitet sich die arbeitsrechtliche Autonomie der Kirchen in Deutschland vor allem aus den Erfahrungen während der NS-Zeit und der DDR ab: Beide Regime nahmen auch über das Arbeitsrecht massiv Einfluss auf die Kirchen.

Wie steht es denn um die Finanzierung: Ein Tarifvertrag, der sich etwa an TvöD anlehnt, erhöht die Personalkosten. Und es gibt mit der Inneren Mission und der Stiftung Friedehorst jetzt schon Einrichtungen, die die derzeitigen Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie aus Kostengründen nicht mittragen können.

Das ist richtig, aber die Schlussfolgerung ist falsch: Nicht an den MitarbeiterInnen muss gespart werden, sondern die Pflegesätze müssen hoch. Man muss an die Wurzel rangehen! Die Kritik muss dorthin, wo sie hingehört. Und das ist momentan gesellschaftlich schlecht austariert: Wir erwarten, dass die Leute gute Arbeit machen. Aber dann muss man sie auch ordentlich bezahlen. Das geht nur, indem man die Pflegesätze ändert.

56, ist Diplom-Pädagogin und seit 2009 DGB-Chefin der Region Bremen-Elbe-Weser.

Die Diakonie wirbt ja damit, ihre MitarbeiterInnen im Vergleich zu anderen recht gut zu bezahlen.

Da ist was dran, das muss man wirklich mal sagen. Das große Ziel ist deshalb ja auch die Allgemeinverbindlichkeit. Wir als Gewerkschaft und als Gesellschaft müssen uns darüber klar sein, was uns Pflege wert ist. Und da ist eben das Problem: Es gibt immer einen, der noch schlechter bezahlt. Aber: Der Dritte Weg ist nicht mehr zeitgemäß.

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