Der Hiphop-Künstler Ibrahim Omari und seine Freunde verwandeln Hakenkreuze in Graffiti-Kunst. Am Telefon sagt er: „Wir können uns duzen, ich bin Ibo.“ Es ist kein Angebot, sondern eine Ansage. Während unseres Gesprächs in seinem Schöneberger Graffiti-Shop kommen immer wieder Kund_innen herein, Ibo begrüßt die meisten mit Handschlag. Die jüngeren unter ihnen macht das sichtlich stolz
: „Wir sind Berliner, wir passen in keine Schublade“

Ibrahim Omari vor dem umgestalteten Hakenkreuz: „Wenn sich jemand die Mühe macht, in drei Farben eine Hakenkreuz-Flagge zu malen, dann nehme ich das persönlich“

Interview Hilke Rusch
Fotos Karsten Thielker

taz: Ibo Omari, du hast mit einer Gruppe von Graffitikünstlern Hakenkreuze „verschönert“, die im öffentlichen Raum gesprüht worden waren. Ihr habt daraus Fliegen, Blumen, Eulen gemacht. Hakenkreuze sieht man oft – warum gerade jetzt die Aktion?

Ibo Omari: Direkt um die Ecke von meinem Schöneberger Laden hat jemand eine metergroße Hakenkreuz-Flagge auf einen Spielplatz gemalt, in Schwarz-Weiß-Rot. Die konnten wir so nicht stehen lassen. Wir haben geklärt, wem die Wand gehört, und dann aus dem Hakenkreuz ein Moskito gemacht, daneben haben wir einen Kescher und den Spruch „Nazis catchen“ gesetzt.

PaintBack habt Ihr die Aktion genannt und sie unter das Motto „Auf Hass mit Liebe antworten“ gestellt – und es blieb nicht bei einem „verschönerten“ Hakenkreuz.

Wir sind durch ganz Berlin gezogen, rechte Schmierereien gibt es ja nicht nur in Schöneberg. Und aus der Aktion haben wir ein Video gemacht und ins Netz gestellt.

Fühlst du dich als Kind einer türkischen Kurdin und eines libanesischen Kurden mit rechten Sprühereien persönlich gemeint?

Wenn sich jemand die Mühe macht, in drei Farben eine Hakenkreuz-Flagge zu malen, dann nehme ich das persönlich, ja. Aber das hat auch was mit Verantwortung gegenüber dem Kiez zu tun. Wir haben dann auch Graffiti-Workshops mit Schöneberger Kindern gemacht, die hatten viele Ideen für Motive zum Hakenkreuz-Übersprühen.

Dein Graffiti-Shop heißt Legacy BLN – was übersetzt Vermächtnis heißt. Was hat es mit diesem Namen auf sich, um was für eine Erbschaft geht es da?

Es geht um das Erbe des alten Downstairs-Ladens. Wo jetzt das Legacy BLN ist, war früher das Downstairs – Anfang der 90er Jahre das kreative Mekka des Hiphop in Deutschland. Damals haben Leute das, was sie in Videoclips gesehen haben, erst imitiert, dann adaptiert und später neu interpretiert – im Breakdance, Rap, DJing, Graffiti. Diese vier Zweige der HipHop-Kultur gibt es in Berlin bis heute, und ihren Ursprung haben sie im Downstairs.

Ihr versteht euch als kulturelle Erben dieser Zeit und habt einen gleichnamigen Verein gegründet – was macht ihr da?

Die HipHop-Kultur und ihre Geschichte sind bislang nicht so gut dokumentiert. Darum geht es dem Verein. Und wir wollen vor allem Jugendlichen verständlich machen, warum HipHop in Berlin so verwurzelt ist, wer die Meister sind und wie sie die Kultur mitgeprägt haben.

Und wer sind diese Meister?

Na, die Stylekings. Leute, die HipHop-Crews gegründet haben, Berliner Originale eben.

Also Leute, die Anfang der 90er sehr aktiv waren, einen eigenen Stil im Graffito oder Breakdancen entwickelt haben?

Damit meine ich Leute, die als Pioniere gewirkt haben. Durch die hat sich die Kultur erst entwickelt, das gab es hier vorher nicht. Bei uns im Verein sind einige der Besten aus der Zeit engagiert, Poet73 oder Chico etwa. Die vermitteln den Jugendlichen mehr als Breakdance- oder Graffiti-Technik, nämlich auch eine Lebenshaltung: Nicht im Hamsterrad dem dicken Geld hinterherzulaufen, sondern erst mal Mensch zu werden, sich selbst zu verwirklichen. Die Jugendlichen sollen mitbekommen, dass Hiphopper nicht nur böse Gangster mit Bling-Bling und Drogenverchecken sind. YouTube-Videos vermitteln da ein falsches Bild.

Und was ist das richtige? Was macht euch als Hiphopper aus?

Erst mal muss ich sagen: Wir haben uns selbst nie als Hiphopper bezeichnet, das fällt mir auch heute noch schwer. Das ist ein Label mit einem materialistischen Macho-Image. Und wir sind Berliner, wir passen in keine Schublade. Darum waren uns auch ein Kleiderkodex oder so ein Verhaltensblabla immer zuwider.

Wirklich? Ihr habt euch dem Traum vom vielen Geld und von dicken Autos entziehen können?

Wir waren natürlich glücklich, MTV zu empfangen, das war der Kanal nach Amerika. Dar­über haben wir verfolgt, was die HipHop-Kultur gerade hervorbringt, und klar, Mitte der 90er Jahre hat es uns dann auch erwischt mit dem ganzen materialistischen Gehabe, Markenbewusstsein und so weiter. Aber trotzdem: HipHop ist nicht nur eine Musikrichtung, das ist eine Kultur, und dazu gehören auch Breakdance, Graffiti und DJing. Und Werte wie Respekt, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit. Das ist der Geist unseres Vereins. Wie HipHop im Mainstream dasteht, gefällt mir nicht. Aus der Subkultur ist mittlerweile eine Multimilliardenindustrie geworden, in der Millionen Menschen arbeiten.

Ibrahim Omari

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Der Mensch: Ibrahim „Ibo“ Omari, 34 und in Schöneberg aufgewachsen, ist Diplombetriebswirt, Inhaber des Graffiti-Shops Legacy BLN und Gründer des Vereins „Die kulturellen Erben“. Er spricht deutsch, türkisch, englisch, französisch, ein wenig kurdisch und arabisch und hat das kleine Latinum.

Der Verein: „Die kulturellen Erben“ wurde 2013 mit dem Ziel gegründet, die Ursprünge der Berliner HipHop-Kultur zu dokumentieren und weiterzutragen. Schöneberger Kinder lernen in kostenlosen Workshops Breakdance, Rappen, DJing und die Kunst des Graffitisprühens.

Die Aktion: PaintBack nahm sich an Wände gesprühte Hakenkreuze vor und gestaltete sie zu Blumen, Zauberwürfel oder Moskitos um. Motto: Aus Hass etwas Schönes machen. Aus der Aktion entstand ein Video, das bisher fast 90.000-mal geklickt wurde. (hru)

Aber du ja auch, du verdienst deinen Lebensunterhalt mit und durch die Subkultur.

Ja, ich lebe von Graffiti. Aber das ist ein undankbares Geschäft, da braucht man schon viel Liebe zur Sache, wenn man Graffitidosen verkauft. Ich habe mir damit quasi meinen Lebens­traum erfüllt: Als ich den Laden vor knapp drei Jahren übernommen habe, konnte ich eben auch aus dem Hamsterrad aussteigen und das Hobby zum Beruf machen.

Du bist ja ein bisschen zu jung, um zur Generation der „Meister“ zu gehören – warst du damals trotzdem schon in der Szene?

Angefangen zu taggen habe ich in der dritten oder vierten Klasse. Da habe ich einen Älteren gesehen, wie der auf einem Spielplatz getaggt hat.

Also so eines dieser Namenskürzel gesprüht hat, die viele Häuserwände – na ja – zieren.

Für den Laien auch als doofe Schmiererei bekannt (lacht). Ein Tag ist quasi eine Reviermarkierung. Und ich fand’s faszinierend, wie der Typ da kryptisch an die Wand gekrickelt hat. Eine Zeit lang habe ich dann nur Buchstaben gemalt, meinen Style entwickelt.

Wie sah der aus?

Westberliner Wildstyle. Viele Jugendliche haben damals versucht, sich einen Tagstyle von Meistern wie Poet73 oder Amok abzuschauen: schwungvoll, akzentuiert, gebogene Pfeile habe ich oft gemacht.

Aber dabei blieb es wahrscheinlich nicht.

Nee, ich glaube, ein Jahr später habe ich mit einem Kumpel mein erstes Bild an die Rückseite unserer Grundschule gemalt, dann an die Vorderseite, da hat uns der Hausmeister erwischt, und meine Mutter musste die Reinigung bezahlen, das waren damals fast 500 Mark. Und dann hieß es Anzeige, und es gab großen Ärger – und dann war meine Graffitikarriere erst einmal beendet.

Die hast du später aber wieder aufgenommen?

Na ja, ich habe getaggt und Bilder gesprüht, aber ein Graffiti-Artist bin ich nicht. Es gibt verschiedene Definitionen, wann sich jemand Graffiti-Künstler nennen darf. Einige sagen, man muss Kisten bemalt haben, sprich: Züge. Und zwar nicht nur einmal. Und man muss halt seinen Style bewiesen haben. Kunst kommt von Können. Um mich Graffitikünstler zu nennen, dafür kann ich nicht genug (lacht).

Also, ganz ehrlich – du hast keine Züge angemalt?

Ich war zwar schon auf Touren dabei, aber man muss ewig auf den richtigen Zeitpunkt warten, dafür bin ich zu ungeduldig – und nicht mutig genug. An Züge habe ich mich nicht drangewagt.

Wenn man dann beim Züge­anmalen gemeinsam vor der Security wegrennt, sind das Situationen, in denen die Werte wie Brüderlichkeit, Gerechtigkeit, Respekt eine Rolle spielen?

„Die Jugendlichen sollen mitbekommen, dass Hiphopper nicht nur böse Gangster sind, die Drogen verchecken“

Nein, das hat mit etwas anderem zu tun. Einige von uns im Verein sind inzwischen 46, 47 Jahre alt und haben die ersten Gangs in Berlin gegründet. Die brauchten wir damals zum gegenseitigen Schutz. Ich habe selbst noch erlebt, wie Anfang der 90er Jahre Gruppen von Nazis an der Yorckstraße aus der S-Bahn gestiegen sind und sich ihren Weg bis zum S-Bahnhof Schöneberg freigeboxt haben. Alles, was ausländisch aussah, haben die vermöbelt. Die Leute im Kiez haben sich von offizieller Seite auch im Stich gelassen gefühlt und deshalb gedacht, sie brauchen eine Gegenmacht. Daraus sind einige gute, aber auch schlechte Sachen entstanden.

Was meinst du mit schlechten Sachen – rivalisierende Gangs, Kriminalität?

Ein Zitat beschreibt es ganz gut: „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.“ Wenn man mal für eine gute Sache die Macht geballt hat, dann gibt’s immer Leute, die so etwas ausnutzen. Und so haben halt einige Gangs ihre Macht missbraucht und andere Gruppen, andere Ethnien terrorisiert. Die haben Gewalt als Mittel genutzt, um Probleme zu lösen.

Zu welcher Sorte Gang hast du gehört?

In meinem Block hatten wir eine Antigewaltmaxime. Wir haben immer versucht, Dispute freundlich zu lösen, erst mal das Herz sprechen lassen, bevor die Fäuste fliegen (lacht). Für mich stand im Vordergrund, dass die Gangs hier im Kiez ein soziales Netz aufgebaut haben.

Das heißt, Gewaltfreiheit hattest du von Beginn an verinnerlicht, für dich gab es da keinen Lernprozess?

Ich hätte sicher auch alles imitiert, was es im Kiez so gab. Jugendliche in Schöneberg hatten in den 90ern Optionen, die eigentlich nicht in den Optionspool von Kindern gehören. Der Zugang zu kreativen Entfaltungsmöglichkeiten war beschränkt, dafür war der zu Drogen einfach. Und natürlich haben wir gesehen, wie Menschen auf unehrliche, aber einfache Weise viel Geld verdient haben. Für einen jungen Menschen kann das verlockend sein. Aber ich hatte das Glück, ein Netzwerk von älteren Menschen zu haben. „Abi“ heißen die auf Türkisch, das ist ein Respekttitel. Und die „Abis“ haben mich immer gewarnt und gesagt, Ibo, lern von den Fehlern der Älteren. Und es gab viele um mich herum, die dumme Fehler gemacht und ihr Leben lang dafür gebüßt haben.

Du hingegen bist inzwischen Ladeninhaber. Und engagiert im Nutzer_innenbeirat des ­inzwischen nicht mehr ganz so neuen Gleisdreieckparks. Was verbindet dich mit dem Park?

Es gibt da eine Wand, die seit Jahrzehnten zum Sprühen genutzt wird, die ist für uns so etwas wie eine Kultstätte. Ich finde den Park wunderschön, und es ist auch gut, dass der verwaltet wird, sonst sieht es bald aus wie im Görli. Allerdings wissen die Anwohner natürlich, dass der Park nicht für sie gebaut wurde, sondern für die, die hier zukünftig leben werden. Die Mieten steigen, auch in Schöneberg. Für die Wand haben wir ein Konzept erarbeitet, damit dort kon­trolliert gesprüht wird. Natürlich kann man die Wand auch immer wieder reinigen, aber es wäre ein Kampf gegen Windmühlen. Außerdem: Berlin ohne Graffiti wäre München (lacht). Der Verein stellt jetzt Malpässe aus, vor allem an Kinder. Die müssen sich dann an Regeln halten: Die Dosen werden nur an der Wand verwendet, Müll wird mitgenommen, unfertige Kunstwerke anderer nicht übermalt.

Mit dem Kiez fühlst du dich offenbar sehr eng verbunden – bist du eigentlich Urschöneberger?

Geboren bin ich in Warschau im Flughafenkrankenhaus. Meine Eltern sind damals vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Europa geflohen. Meine Mutter war hochschwanger und hätte eigentlich gar nicht an Bord eines Flugzeugs gehen dürfen. Wegen der humanitären Lage wurde eine Ausnahme gemacht, bloß setzten dann während des Flugs die Wehen ein, und der Pilot ist in Warschau notgelandet. Ein paar Tage nach meiner Geburt bin ich dann nach Berlin gekommen.

Ibrahim Omari über Straßengangs in Schöneberg:

In meinem Block hatten wir eine Anti-Gewalt-Maxime. Wir haben immer versucht, Dispute freundlich zu lösen, erst mal das Herz sprechen lassen, bevor die Fäuste fliegen. Für mich stand im Vordergrund, dass die Gangs hier im Kiez ein soziales Netz aufgebaut haben.

Warum Berlin? Hattet ihr Familie hier?

Mein Vater war begeistert vom Berlin der 70er Jahre. Damals hatte er mit seiner exotischen Sprachkombination – türkisch, kurdisch, arabisch – bei der Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate ein Praktikum gemacht. Für ihn war klar, dass das Fluchtziel Berlin sein sollte. So bin ich dann hier aufgewachsen, als Prototyp eines Flüchtlingskinds: Ich kam in die „Ausländerförderklasse“, obwohl ich fließend deutsch sprach.

Das war damals ziemlich normal, oder?

Bei uns gab es, wie an vielen Grundschulen in der Innenstadt, drei Klassen mit Ausländerkindern und eine Klasse, in der sich alle deutschen Kinder konzentriert haben. Die deutschen Eltern haben darauf bestanden, dass ihr deutsches Kind in die deutsche Klasse kommt. Das hatte natürlich den Effekt, dass die Kinder in den Pausen nur in ihrer jeweiligen Muttersprache gesprochen haben.

Und heute bekommen Menschen mit einem nicht deutsch klingenden Vornamen immer noch schwerer einen Ausbildungsplatz.

Es gibt haufenweise Bezeichnungen, die nur den Zweck haben, eine Unterscheidung zu machen – Menschen nicht deutscher Herkunft, Menschen mit Migrationshintergrund. Da sind mir Nazis lieber, die sagen wenigstens ehrlich, was sie denken. Aber wenn ich erlebe, wie mir bei einem Jobinterview die zukünftige Chefin erklärt, was Haferflocken sind – das sind Kleinigkeiten, aber die symbolisieren, dass bis heute unterschwellig Unterscheidungen stattfinden. Wir sind eben nicht ganz so deutsch wie andere.

Und wie ist das – fühlst du dich deutsch?

Ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit, seit ich 16 bin, und ich bin froh, die Privilegien genießen zu können, die der deutsche Staat zu bieten hat, Bildung oder Infrastruktur zum Beispiel. Aber deutsch fühle ich mich nicht. Ich bin stolzer Berliner, stolzer Schöneberger. Ich identifiziere mich mit dem Umfeld, das mich geprägt hat. Staatsangehörigkeiten sind für mich nicht mehr als Papier.