Die Beschäftigung mit Maman

Kino Suchbewegungen und existenzielle Schwermut: Die Hommage „No Home Movies – Filme von Chantal Akerman im Arsenal

Und immer weicht Annas (Aurore Clément) Blick aus. Ob die scheue Regisseurin in ganz verschiedenen, und doch ewig gleichen Hotelzimmern zu sehen ist oder in Zügen – im Gespräch mit fast Fremden scheint es, als sei das Leben aus ihr entwichen, als hätte sie sich diesem, ihrem Schicksal ergeben. Diesem Reiseschicksal, dem Unterwegsseinmüssen.

Anna wirkt, als sei sie verschickt worden, keineswegs wie eine, die sich auf den Weg gemacht hat. Hinter ihr ziehen vorüber und bleiben oft für einige Sekunden starr: strenge Frontalansichten. Von beleuchteten Restaurants, einer Postfiliale, einem Haus im Ruhrgebiet.

Dabei wirkt alles ziemlich grau, trostlos. In Chantal Akermans „Les Rendez-vous d’Anna“ (1978) begegnet Anna vielen Personen und letztlich aber doch nur einer: ihrer Mutter. Ihr berichtet sie von einem Aufeinandertreffen mit einer Frau, mit der sie intim geworden ist. Ob sie jemals mit einer Frau geschlafen habe, fragt sie die Mutter. Sie verneint.

Jene Offenheit, mit der Anna sich ihr anvertraut, sie scheint umso außergewöhnlicher, nimmt man die oftmals nur angerissenen Zusammenkünfte mit Männern, denen sich Anna zumeist entzieht, ja entwindet. Akerman zeigt dann den schönen, blassen Körper Cléments sich aus einer nackten Umarmung lösen, als sei es jetzt genau in diesem Augenblick zu viel geworden. „Zieh dich an“, sagt sie dann zu einem, mit dem sie gerade noch im Bett gelegen war.

„Les Rendez-vous d’Anna“ ist einer der acht Filme Akermans, die zwischen dem 1. und 6. September im Arsenal zu sehen sind. Auftakt und möglicherweise Anlass der Hommage ist auch Akermans letzter Film „No Movie Home“. Er setzt sich explizit mit ihrer Beziehung zur Mutter Natalia (Nelly) Akerman auseinander, einer polnischen Jüdin, die den Holocaust überlebte und die Tochter in Belgien großzog.

Im Jahr 2014 verstarb sie. „No Movie Home“ wurde ein Jahr später in Locarno aufgeführt, wenig später schied auch Chantal Akerman aus dem Leben. Selbstbestimmt. Es ist ein sich wiederholender, und doch variantenreicher Themenkreis, den Akerman zwischen 1968 und 2015 filmisch, literarisch, bisweilen auch installativ bearbeitet hat.

Angefangen mit dem Kurzfilm „Saute ma ville“ (1968), den sie als 18-Jährige realisierte und der eine burschikose und an Slapstick-Elementen reiche Beobachtung dessen ist, was passiert, wenn man sich in der Küche mit zu vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt: Explosives nämlich. „Saute ma ville“ birgt eine unbefangene, ungeschickte Akerman. Bald ist in anderen filmischen Selbstporträts wie „La chambre“ (1972) auch eine existenzielle Schwermut nicht zu verleugnen.

Gemeinsam ist allen Filmen die Suchbewegung: nach dem eigenen Selbst und wie dieses innerhalb einer bestimmten, doch schwer fasslichen Zeitqualität fluktuiert. Nicht selten installiert Akerman hierfür auch sich selbst als Alter Ego. In „Demain on déménage“ (2004) etwa in der Rolle der Charlotte (Sylvie Testud), einer fahrigen Autorin erotischer Literatur, die mit Mutter Catherine (Clément) zusammenzieht.

„News from Home“ (1976) agiert direkter: Hier verliest Akerman die Briefe Natalias an ihre nunmehr in New York lebende Tochter Chantal, während die Bildebene von einer zwischen Hochhausschluchten interessant positionierten Kamera (Babette Mangolte) bestimmt ist. In wieder andere Bahnen lenkt „Aujourd’hui, dis-moi“ (1980) die Beschäftigung mit Maman: Chantal Akerman befragt Natalia in dieser fürs Fernsehen konzipierten Arbeit nach Erinnerungen an deren eigene Mutter Sidonie Ehrenberg, im Jahr 1942 von den Nazis in Auschwitz ermordet.

Intuitiv wie zwanghaft vergewissert sich Akermans Werk wiederholt an der Historie weiblicher Familienmitglieder, die, gleich Annas Körper in „Les Rendez-vous d’Anna“, doch nie wirklich greifbar werden.

Carolin Weidner

„No Home Movies – Filme von Chantal Akerman“, 1. bis 6. September, Kino Arsenal