NachrichtensprecherInnen in Ägypten: Fat shaming vom Staatsfernsehen

Das ägyptische Staatsfernsehen schickt seine NachrichtensprecherInnnen in Zwangsurlaub. Sie seien angeblich zu dick.

zwei Schalen mit Möhren, Salat und anderer Rohkost

Low-Carb-Diät, verordnet vom ägyptischen Staatsfernsehen Foto: dpa

BERLIN taz | Kennen Sie diesen Moment, wenn Ihnen mal wieder jemand sagt, Sie seien zu fett, um eine Nachrichtensendung zu moderieren? Nein? Dann sind Sie wahrscheinlich nicht angestellt beim ägyptischen Staatsfernsehen. Das hat nämlich gerade ModeratorInnen suspendiert – mit der Bitte, eine Diät zu machen.

Zunächst waren nur Frauen im Fokus. Anfang der Woche hatte die staatliche „Egyptian Radio and Television Union“ (ERTU) verkündet, dass sie acht weibliche Nachrichtensprecherinnen suspendiert habe. Die Frauen hätten einen Monat Zeit, um mit einem „angemessenen Erscheinungsbild“ zurückzukehren.

Eine derer mit unangemessenem Erscheinungsbild ist die Moderatorin Khadija Khattab vom staatlichen Sender Channel 2. Sie sagte einer lokalen Zeitung, dass die Leute sich ihre letzten Sendungen anschauen und für sich entscheiden sollten, ob sie zu „fett“ sei und nicht mehr moderieren sollte. In ihrer Einschätzung sei die Entscheidung ein Weg, erfolgreiches Personal loszuwerden und gleichzeitig Sendungen ohne starke Inhalte zu schützen. Eine Kollegin Khattabs sagte zudem, dass die öffentliche Mitteilung aus Rücksicht auf die Familien besser hätte intern bleiben sollen.

Aus der Zivilgesellschaft kam Kritik am Verhalten der Sendeanstalten. Das „Womens Centre for Guidance and Legal Awareness“ kommentierte, das Verhalten der Sendeanstalten sei nicht verfassungskonform und eine Form von Gewalt gegen Frauen. Eman Beibers, Vorsitzende der „Association for the Development and Enhancement of Women“ mit Sitz in Kairo, sagte: „Unser Problem ist, dass wir Menschen eher anhand ihres Erscheinungsbildes beurteilen als anhand von Leistung oder Inhalt“.

Aber auch über Zustimmung in Bezug auf die Maßnahme wird berichtet. So hätten einige User die Moderatorinnen in sozialen Netzwerken als „bakabouzas“ bezeichnet, ein Ausdruck der in Ägypten für übergewichtige Frauen benutzt wird. Alaa el-Sadani von der ebenfalls staatlichen Nachrichtenwebsite Al-Ahram sagte, sie sei angeekelt von der abstoßenden Erscheinung der Moderatorinnen. Ihre Kollegin Fatma el-Sharawi pflichtete ihr bei und fragte: „Sind acht Suspedierungen genug?“.

Eine alte Leier: Schlankheits-Normativ

„Nein“, antworteten die Offiziellen vom Staatsfernsehen laut dpa, und suspendierten jetzt auch männliche Mitarbeiter. „Rund 90 Prozent der männlichen und weiblichen Moderatoren sind übergewichtig“, erklärte der Regional-Direktor des staatlichen ägyptischen Fernsehens und Radios, Hani Dschaafar, am Donnerstag. Eine Kommission solle nach Ende der nun dreimonatigen Frist unter anderem deren Gewicht und Kleidung bewerten. „Jeder, der als ungeeignet angesehen wird, wird auf eine Stelle versetzt, die nichts mit Präsentation zu tun hat“, sagte Dschaafar weiter.

Die Reaktionen und das weitere Vorgehen des Staatsfernsehens sind Zeugnisse eines vielschichtigen Problems. Einerseits sind Übergewicht und Fettleibigkeit für viele Menschen auf der Welt ein ernstes gesundheitliches Risiko. Demgegenüber steht aber auch ein Schlankheits-Normativ, der vor allem in westlichen Breitengraden en vogue ist.

Sinkende Einschaltquoten sollen der Grund sein

Während es in Deutschland unwahrscheinlich wäre, dass ein Sender in diesem Kontext so offen mit seinen Beweggründen umgeht wie es die ägyptischen gerade vormachen, gibt es die Marginalisierung dicker Menschen auch hierzulande – ein Blick auf die Fernsehlandschaft genügt. In diesem Sinne kann die Vorbildfunktion, die Fernsehgestalten gern nachgesagt wird, auch aus einer anderen Richtung gesehen werden.

Die Suspendierungswelle fand vor dem Hintergrund sinkender Einschaltquoten statt, mit denen das ägyptische Staatsfernsehen seit dem Rücktritt von Ex-Staatspräsident Husni Mubarak im Jahre 2011 zu kämpfen hat. Der Schein einer dünnen und schönen ModeratorInnenflotte soll also das ägyptische Fernsehen aus der Krise holen. Die neue, weibliche Direktorin der staatlichen Senderunion ERTU, Safaa Hegazy, selbst Ex-Nachrichtensprecherin, war im April diesen Jahre aus diesem Grund angetreten: Wettbewerbsfähiger mit internationalen Satellitensendern, welche meist jüngere NachrichtensprecherInnen beschäftigen, sollte das Staatsfernsehen sein.

Die ERTU sagte, dass ihre Entscheidung nicht rückgängig gemacht werde. Die ägyptische Vereinigung ist Mitglied in der Europäischen Rundfunkunion, einem Dachverband von derzeit 73 Rundfunkanstalten, dem auch ARD und ZDF angehören. Immerhin sollen den ModeratorInnen während der Zwangspause ihre Gehälter nicht gekürzt werden. Richtig so: Die Low-Carb-Diät bezahlt sich schließlich nicht von allein.

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