Gute Chancen für rohe Holzkisten

Jenseits des High-Tech-Diskurses in der Ökonomie: Dortmunder Wirtschaftssoziologen geben der Old Economy bessere Noten als der New Economy und belegen, dass auch in traditionellen Branchen Wachstumspotenzial steckt

Ist die Old Economy wirklich out? In Wirtschafts-Debatten werden Wachstumschancen und neue Arbeitsplätze eher in „High-Tech- Bereichen“ erwartet. Wirtschaftszweige jedoch, die konventionelle und standardisierte Produkte herstellen, hätten in den entwickelten Ländern wenig Entwicklungschancen.

Stimmt nicht, sagen Dortmunder Forscher. Eine ganze Reihe solcher „Low-tech“-Unternehmen produziere sehr erfolgreich. Zudem existierten überzeugende Beispiele für prosperierende Regionen, deren industrielle Basis alte und traditionelle Technologien sind. Ein Forschungsprojekt, das von Hartmut Hirsch-Kreinsen an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Dortmund geleitet wird, trägt den Titel „PILOT“ (Policy and Innovation in Low-Tech). Europäische Wissenschaftler erforschen gemeinsam die vielleicht doch nicht ganz so alte „Old economy“. Mindestens ein Viertel der deutschen Industrieproduktion stamme aus typischen Low-Tech-Betrieben, schätzt Hirsch-Kreinsen. Firmen, von denen man meist nicht viel hört. Sie stellen „biedere“ Produkte her wie Eisenbahnschienen, Papier, einfache Büromöbel oder Lebensmittel. Ihr Forschungs- und Entwicklungsbudget (F&E) liegt bei Null. Trotzdem sind sie erfolgreich am Markt, produzieren auch in europäischen Hochlohn-Ländern wie Deutschland zu konkurrenzfähigen Preisen. Ihrem Erfolgsgeheimnis sind die Dortmunder Wirtschaftssoziologen auf der Spur. Acht Firmen in Deutschland werden unter die Lupe genommen, die bisher zwar keinen Kontakt zu Wissenschaftlern hatten, sich dem Projekt aber sehr aufgeschlossen zeigten. „Es zeigt sich, dass ihre große Flexibilität bei der Anpassung an die Nachfrage ein wichtiger Faktor ist“, so Hirsch-Kreinsen.

Ein anderes Erfolgsrezept ist der Preis. Ein Bürostuhl-Hersteller im Raum Augsburg kann mit messerscharfer Kalkulation den Konkurrenten aus China oder Polen Paroli bieten. Billig-Modelle aus der Fabrik finden sich bevorzugt bei Discountern oder Mitnahme-Möbelmärkten wieder. Und warum können die großen auf die Hochtechnologie eingeschworenen deutschen Betriebe das nicht? „Größe und Formalisierung macht die Konzerne unflexibel“, urteilt Hirsch-Kreinsen. Ein blitzschnelles Reagieren auf Marktchancen ist so nicht möglich. „Die kleinen und mittleren Low-Tech-Betriebe sind die wirklich innovativen Unternehmen,“ sagt er. DaimlerChrysler sei es nicht. Als Low-Tech-Betrieb wird nach OECD-Kriterien eine Firma eingestuft, die unter 0,9 Prozent ihres Umsatzes für F&E ausgibt. Zum Vergleich: Ein High- Tech-Unternehmen gibt dafür über fünf Prozent aus. Einen richtigen Boom gibt es bei den Low-Tech-Firmen zwar auch nicht, aber sie stehen bei ihren Wachstumsraten auch nicht schlechter da als die Firmen im Hochtechnologiesektor.

Stammten 1980 noch rund acht Prozent der gesamten industriellen Produktion in der EU aus High-Tech-Firmen, waren es zu Beginn der 1990er Jahre zwar schon fast elf Prozent, am Ende des Jahrzehnts allerdings auch nicht mehr. In Japan und den USA fand eine exakt parallele Entwicklung statt, allerdings mit einem jeweils um zwei bis sechs Prozentpunkte höheren Anteil der Hochtechnologie. Das Platzen der Börsen-Euphorie für die New Economy steht angesichts dieser Fundamentaldaten auch in einem klareren Licht. Ist der Badewannen-Produzent in Düren oder die Pflug-Fabrik im niederrheinischen Alpen also die Rettung für die deutsche Wirtschaftskrise? Nur sehr bedingt. Zwar stehen Firmen wie diese im Schnitt nicht schlechter da als die Global Player, aber eben auch nicht wirklich besser.

Die Innovationsoffensiven der Bundes- und Landesregierungen sowie vieler Kommunen und Institutionen würde der Dortmunder Wirtschaftssoziologe gerne auch für den Low-Tech-Sektor öffnen. Auf große Begeisterung ist er bisher nicht gestoßen. Die Suche nach Verbündeten gestaltet sich schwieriger als erwartet. „Selbst beim DGB und der IG Metall gibt es nur die High-Tech-Perspektive“, bedauert Hirsch-Kreinsen. Auch die Medien interessierten sich bisher nur wenig für die Ergebnisse der „PILOT“-Studie.

Hartmut Hirsch-Kreinsen plädiert zunächst einmal nur für einen unbefangeneren und rationaleren Blick auf die Wirtschaft. Boomfirmen gibt es auch im Low-Tech-Sektor. So werden EU-weit etwa Holzcontainer zum Transport unterschiedlichster Ware extrem nachgefragt. Firmen, die sich mit deren Produktion beschäftigen, verzeichnen beeindruckende zweistellige Wachstumsraten. Allerdings nur schwer vorstellbar, dass ein auf Innovation eingeschworener deutscher Politiker sich bei der feierlichen Eröffnung einer neuen Werkshalle für Holzkisten fotografieren lässt.

HOLGER ELFES