Trinkwasser

Trotz geringer Mengen chemischer Rückstände kann Leitungswasser qualitativ mit Flaschenwasser mithalten – und ist viel billiger

Kontrastmittel im Kaffee

Leitungswasser Rückstände von Schmerzmitteln sind im Wasser ebenso vorhanden wie die von Röntgenkontrastmitteln. Die Mengen sind unbedenklich, könnten aber zunehmen

Flächendeckende Zahlen zu Rückständen im Trinkwasser gibt es nicht

BERLIN taz | Diclofenac ist ein Problem. Der schmerzlindernde Wirkstoff kann auch in Tablettenform eingenommen werden, beliebt ist er aber vor allem in Sportsalben zum Auftragen auf die Haut. Er wird beim nächsten Duschen zu guten Teilen wieder abgewaschen, gelangt dann mit dem Abwasser in die Kläranlage, von dort ins Gewässer, wo er ­unter anderem Leber und Nieren von Fischen schädigen kann. Und seine Rückstände finden sich am Ende im Trinkwasser.

MRT-Kontrastmittel, Hormone, Schmerzmittel, Cholesterinsenker. Was klingt wie ein Auszug aus dem Sortiment einer Apotheke, ist auch – zumindest in geringen Mengen – im Trinkwasser vorhanden. Verursacht von Menschen, die ihre Medikamentenreste statt im Hausmüll über die Toilette entsorgen, Patienten, deren Ausscheidungen Reste der Wirkstoffe enthalten, oder die Landwirtschaft, wenn mit Gülle gedüngt wird, die Medikamentenrückstände aus den Ausscheidungen von Tieren enthält.

„Diclofenac ist einer der Spitzenreiter, einfach weil wir so viel davon verwenden“, sagt Ingrid Chorus, Trinkwasserexpertin des Umweltbundesamtes (UBA). Bei Substanzen mit hoher Wasserlöslichkeit steigt auch die Menge der Rückstände. Dabei legt Chorus Wert darauf, dass die Mengen von Arzneimitteln, die im Leitungswasser landen, immer noch sehr gering sind und die Ökobilanz deutlich besser ist als die von Flaschenwasser. „In manchen Versorgungsgebieten sind ein paar Stoffe im Leitungswasser, die da nicht reingehören, die uns aber in den geringen Konzentrationen nicht schaden“, sagt sie. Trotzdem: „Wir haben den Anspruch, dass Trinkwasser rein sein soll.“

Wie sauber das Trinkwasser wo ist, ist schwierig zu sagen. „Hinsichtlich der Belastung mit Hormonen und Arzneimittelrückständen gibt es große Wissenslücken“, kritisiert Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen. Flächendeckende Zahlen dazu, an welchen Orten und in welchen Konzentrationen sich Rückstände welcher Wirkstoffe im Wasser befinden, gibt es nicht. Eine gesetzliche Überwachungspflicht existiert ebenso wenig wie Grenzwerte.

Zahlen gibt es immerhin für das Oberflächenwasser, aus dem teilweise Trinkwasser gewonnen wird. In einer Übersicht des UBA aus dem Jahr 2014 stehen dort Röntgenkontrastmittel an erster Stelle. Pro Liter Oberflächenwasser fanden sich bis zu 20 Mikrogramm des Röntgenkontrastmittels Iomeprol. Bei Diclofenac waren es maximal gut 9 Mikrogramm. Zum Vergleich: Eine Tablette enthält meist zwischen 20 und 90 Milligramm des Wirkstoffs.

Braucht es also Grenzwerte? Verbraucherschützerin Franz will erst einmal mehr Forschung zu den Risiken von Arzneimittelrückständen. Chorus vom UBA hält Grenzwerte für kontraproduktiv. Denn abgeleitet von den üblichen toxikologischen Bewertungsverfahren würden sie deutlich höher ausfallen als ihre derzeitige Konzentration im Wasser. Ziel müsse aber sein, das Trinkwasser frei von diesen Stoffen zu bekommen – und nicht, sie nur unter Grenzwerten zu halten.

Daran, Wasser auch von hartnäckigen Resten, von Arzneimitteln und Pestiziden zu reinigen, arbeitet Katrin Schuhen. Sie ist Junior-Professorin an der Universität Koblenz-Landau. Mehr als hundert arzneiliche Wirkstoffe seien in Kläranlagen bereits nachgewiesen worden, sagt Schuhen. Sie glaubt: „Der demografische Wandel wird dazu beitragen, dass die Verunreinigungen steigen.“ Ältere Menschen, zunehmende Medikation, mehr Rückstände im Wasser.

Mancherorts gibt es bereits eine zusätzliche Reinigungsstufe, die die Rückstände herausfiltern soll, zum Beispiel mit Aktivkohle. Die hat aber auch Nachteile, weil sie Keime zurück ins Wasser abgeben kann. Schuhen arbeitet daher mit Hybridkieselgelen. Die sind eigentlich eher ein weißes Pulver, durch das das belastete Wasser – etwas vereinfacht – hindurchfließt und deutlich sauberer wieder herauskommt.

Mindestens 95 Prozent der Arzneimittelrückstände entferne man so, sagt die Wissenschaftlerin. Nun geht das Projekt aus der Erprobung in die Praxis. Schuhen hofft, dass sich in weiteren Experimenten noch mehr Stoffe, etwa Phosphate, herausfiltern lassen. Und dass die Technik dazu beitragen kann, dass das in anderen Ländern standardmäßige Chloren des Leitungswassers eines Tages überflüssig wird.

Svenja Bergt