Kraftwerk ist nicht gleich Kraftwerk

DIE INI (XV) In Wedel könnte an die Stelle eines alten Meilers ein sehr viel größerer neuer treten

Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.

Wenn Kerstin Lueckow in ihrem Garten steht, kann sie das Kohlekraftwerk sehen. Kerstin und Torsten Lueckow, die seit 2000 hier leben, stört es nicht. Was sie sehr wohl ärgert: das Gas- und Turbinenkraftwerk, das der Energiekonzern Vattenfall hier bauen will – wovon sie nur zufällig erfuhren.

„Irgendwann beim Frühstück“, erzählt Kerstin Lueckow, hätten sie sich gefragt, wann das Anfang der 1960er Jahre erbaute Kohlekraftwerk abgeschaltet wird. „Ich habe direkt recherchiert und im Internet einen Artikel gefunden, in dem stand, dass hier ein riesiges Gaskraftwerk geplant ist.“

Den Plänen nach würde das Kraftwerk, das den Westen Hamburgs mit Energie versorgen soll, von 64 Ventilatoren im Außenbereich gekühlt – die wären nicht nur laut, sie stehen auch im Verdacht, im Umkreis von bis zu vier Kilometern durch Infraschall, also nicht hörbare Geräusche, gesundheitliche Schäden zu verursachen. In Wedel wäre der Abstand zum nächsten Haus weniger als ein halber Kilometer.

Die Lueckows, von den Neuigkeiten geschockt, fragten Nachbarn. Aber auch die wussten nichts von den Plänen. Zusammen beschlossen sie einen Anwalt zu engagieren: Für den Bau sind ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Um Geld zu sammeln, gründeten sie die Bürgerinitiative „Stopp! Kein Mega-Kraftwerk Wedel“.

Kerstin Lueckow schrieb Vattenfall und die Stadt an, sprach mit Energieexperten und nahm Kontakt zu einer Bürgerinitiative auf, die Anfang des Jahres ein geplantes Kraftwerk im brandenburgischen Wustermark verhindert hatte. Ihr Mann sammelte Informationen in einem Blog, den beide wiederum mit einem Flugblatt bewarben. „Viele Nachbarn wollten ein Treffen, also habe ich einen Raum für 40 Personen gemietet“, erzählt Lueckow. „Es kamen über 80 Anmeldungen.“

Für die Beantwortung technischer Fragen lud Kerstin Lueckow einen Vertreter der Hamburger Initiative „Moorburgtrasse stoppen“ ein: Die Besucher erfuhren, dass während der Bauphase Rammarbeiten geplant sind, deren Erschütterungen die Stabilität von Gebäuden gefährden könnten. Auch würden dabei die Lärmgrenzen für Wohngebiete überschritten. Fast alle Zuhörer traten der BI bei, 1.600 Menschen reichten Einwendungen gegen das Kraftwerk ein, der Anwalt verfasste eine Stellungnahme. Ein öffentlicher Erörterungstermin Ende November lockte erneut mehr als 200 Teilnehmer, darunter rund 20 von Vattenfall geschickte Anwälte, Gutachter, Projektleiter und Ingenieure. Der Konzern kündigte an, mit leiseren Verfahren arbeiten zu wollen.

Kerstin Lueckow, die sich freiberuflich mit Buchhaltung beschäftigt, hofft, dass ihr für diese Arbeit bald wieder mehr Zeit bleibt. Auch im Garten sei viel liegen geblieben über den Kampf gegen ein Riesen-Kraftwerk – das sie von hier aus auch künftig nicht sehen müssen will. KATHRIN OTTO