„Ich mag einfach das Gefühl, schnell zu sein“

NACHWUCHS Die Langstreckenläuferin Miriam Dattke ist eine der Nachwuchshoffnungen im Berliner Leichtathletikverband. Sie trainiert schon jetzt für die Olympiade in Tokio 2020. Für den Erfolg nehme sie auch Schmerzen in Kauf, sagt die 18-Jährige

„Beim Laufen kann ich direkt sehen, was all die Arbeit bringt“ – Miriam Dattke Foto: Sebastian Wells

Interview Anna Klöpper

taz: Frau Dattke, am Sonntag sind die Olympischen Sommerspiele zu Ende gegangen. Einer der Höhepunkte war der Weltrekord der Äthiopierin Almaz Ayana, 29:17 Minuten über 10.000 Meter. Beeindruckend, oder?

Miriam Dattke: Ja, klar … Und solange nicht bewiesen ist, dass ein Athlet gedopt hat, werde ich die Leistung auch anerkennen.

Sie spielen auf die Dopingvorwürfe gegen die Äthiopierin an. Sie selbst könnten, als eine der Laufhoffnungen des Deutschen Leichtathletikverbands, mit ihr in Tokio 2020 an der Startlinie stehen. Aber haben Sie angesichts solcher Zeiten überhaupt noch Lust zu trainieren?

Beim Training oder beim Wettkampf denke ich nicht dran. Mir nimmt das auch nicht die Motivation. Das hört sich vielleicht naiv an, aber wenn ich aufhören würde, an überragende Leistungen zu glauben, würde mir der Zauber der Leichtathletik verloren gehen.

Auf der olympischen Laufbahn sieht das Siegen am Ende immer so leicht aus. Wie hart ist der Trainingsalltag?

So pauschal lässt sich das kaum sagen, weil ein Tag selten wie der andere ist. Heute Morgen hatte ich zum Beispiel vor der Schule erst mal eine Stunde Athletik mit meinem Trainer – Krafttraining im Wesentlichen. Dann zurück ins Internat …

… das Schul- und Leistungssportzentrum in Hohenschönhausen, eine von drei Eliteschulen des Sports in Berlin.

Dann frühstücken, umziehen für die Schule, ich gehe auf die Poelchau-Schule im Olympiapark, im Sportzentrum Hohenschönhausen wohne ich nur. Nach der Schule so Dinge wie einkaufen und Wäsche machen. Dann laufe ich gleich noch mal, aber bloß ein lockerer Dauerlauf über zehn Kilometer. Dann ­koche ich mir was, dann ­Hausaufgaben, dann falle ich ins Bett.

Das klingt ziemlich nach Einzelkämpferin, was Läuferinnen ja auch sind. Ich hätte erwartet, hier im Leistungssportzentrum gäbe es doch eine größere ­Trainingsgemeinschaft.

Ich laufe meistens alleine, das ist okay, ich habe mich dran gewöhnt. Hier im Internat gibt es keine Laufgruppe. Und in meiner Trainingsgruppe beim SCC Berlin haben alle andere Schulzeiten als ich, ich bin die einzige auf der Poelchau-Schule. Am Wochenende, wenn ich bei meinen Eltern in Kladow bin, begleitet mich manchmal mein Vater – allerdings auf dem Fahrrad.

Für die interessierten Hobbyläufer unter den Lesern: Wie schnell ist bei Ihnen ein lockerer Dauerlauf?

Dann brauche ich mehr als vier Minuten pro Kilometer. Ein schneller Dauerlauf wären so 3:30 Minuten pro Kilometer.

Das sind mehr als 15 Kilometer pro Stunde, damit dürften Sie so manchen Radfahrer überholen. Bekommen Sie auch mal Kommentare von Passanten zu hören?

Na ja, im Volkspark Friedrichshain oder am Orankesee, wo ich oft laufe, schauen insbesondere die männlichen Hobbyläufer schon manchmal ein bisschen komisch, wenn ich sie so locker überhole. Manchmal fragen Leute, ob das denn wirklich sein muss, dass ich so schnell laufe, ein bisschen langsamer wäre doch auch okay. Viele erschrecken sich auch einfach, dabei versuche ich schon immer, möglichst weit am Wegrand zu laufen. Manche sagen aber auch, wow, ist die schnell! Das motiviert dann natürlich.

Apropos Motivation: Ihr Trainingsplan besteht ja kaum nur aus lockeren Dauerläufen. Wie motiviert man sich für die Einheiten, die wehtun?

Manchmal muss man sich gar nicht motivieren, dann denkt man nicht, dann läuft man. Ich würde mich nach dem Training auch nicht gut fühlen, wenn ich sagen würde: Jetzt mache ich die nächste Serie von zehn Tempoläufen über 200 Meter einfach mal ein bisschen langsamer. Dann quäle ich mich lieber und bin hinterher happy. Und man denkt natürlich auch an die Ziele, die man hat.

Welche sind das bei Ihnen?

Na ja, Olympia und die Weltmeisterschaften der Erwachsenen, das ist natürlich schon das Ziel – das muss das Ziel sein, bei dem ganzen Trainingsaufwand.

Miriam Dattke

ist 18 Jahre alt. Die Kladowerin wurde vor vier Jahren bei einem Schulcrosslauf in Spandau von den Talentspähern des SC Berlin-Brandenburg entdeckt. Da lief sie ohne Training auf den zweiten Platz. Dattke trainiert inzwischen beim Charlottenburger Verein SCC Berlin.

Bisher gelang Ihnen alles scheinbar mühelos: Sie sind 2015 Deutsche Jugendmeisterin über 3.000 Meter geworden. Bei den Jugend-Weltmeisterschaften im selben Jahr sind Sie in den Endlauf gekommen. In dieser Saison haben Sie zum ersten Mal ein wichtiges Ziel verpasst, die Qualifikation für die Junioren-WM Ende Juli im polnischen Bydgoszcz. Wie sehr stellt man den eigenen Einsatz, die Quälerei, nach solchen Rückschlägen infrage?

Na ja, es kann eben nicht immer bergauf gehen. Letztes Jahr lief es einfach, und ich weiß auch inzwischen, was ich dieses Jahr bei den Qualifikationsrennen falsch gemacht habe.

Was denn?

Bei dem ersten Wettkampf bin ich zu früh nach vorne gegangen und auf dem letzten Kilometer dann total eingebrochen, obwohl ich noch in der Zeit war. Aber als ich dann überholt wurde, habe ich aufgegeben, statt mich reinzuhängen. Das war eine mentale Sache.

Sie sind eher die Vornewegläuferin als die Spurterin?

Ja, bei mir muss der Endspurt immer einen Kilometer vor Schluss kommen, sonst wird das nichts. Aber dadurch überziehe ich auch manchmal. Ich laufe manchmal ein bisschen wild, sagen meine Trainer.

Und was klappte im zweiten Qualifikationsrennen nicht?

Beim zweiten Rennen, das noch in der gleichen Woche war, hatte ich eine Tempomacherin, aber da war ich körperlich einfach total platt. Da habe ich mir auch selbst zu viel Druck gemacht, dass es jetzt aber klappen muss. Die Angst vor dem Verlieren war wohl größer als der Wille zu gewinnen. Und dann hatte ich auch noch relativ früh in der Saison eine Muskelverhärtung in der Wade. Deshalb war einige Wochen das Training ausgefallen, das hat mich verunsichert.

Leistungssport verschleißt, vor allem auch den Körper. Merken Sie das bereits?

Mit meinen Eltern scherze ich manchmal, dass sie eigentlich eine Rentnerin zur Tochter haben. Letztes Jahr musste ich fünf Wochen wegen Knieproblemen aussetzen, dieses Jahr die Wade, Rückenschmerzen habe ich eigentlich immer. Das liegt aber daran, dass ich ein Kraftdefizit im Rumpf habe, das kann man durch Training ändern.

Bereitet einem das mit 18 Jahren eigentlich Sorge?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin aber auch der Typ, der sagt: Wenn ich für eine Olympiamedaille und zehn Jahre in der Weltspitze im Alter später Schmerzen habe – okay. Würde ich die Schmerzen nehmen.

Keine Angst, die Jugend an den Sport zu verschenken? Dass Sie doch zu viel dafür geben?

Medaillen aus Berlin

Insgesamt holten BerlinerInnen in den letzten vier Jahren 216 Medaillen in olympischen und 74 Medaillen in paralympischen Sportarten. Bei den Olympischen Spielen 2016 kam zwischenzeitlich rund jede vierte Medaille aus Berlin – womit sich auch Sportsenator Frank Henkel (CDU) gern schmückt.

Klar, ich kann nicht wissen, ob ich jemals zu Olympia fahre. Manchmal hat man auch diese zweifelnden Momente: Lohnt sich der Einsatz, all die Zeit, auch das ganze Geld. Ich bekomme zwar einen kleinen monatlichen Zuschuss von der Sporthilfe, weil ich im Bundeskader bin. Doch der ist überschaubar, 100 Euro im Monat. Und das Internat, die Trainingslager, das kostet meine Eltern schon einiges. Aber ist das nicht bei vielen Dingen so, dass man nicht weiß, ob sich die Investitionen lohnen werden? Ich weiß ja auch nicht, ob mir ein Jurastudium gelingen wird, ob ich mal eine gute Anwältin sein werde.

Ein Studium verlangt keinen Ernährungsplan, und man darf abends feiern gehen, solange man will.

Ja, vielleicht. Aber am Ende liebt man es ja doch einfach zu sehr, das Laufen.

Was ist es, das Sie lieben?

Ich glaube, ich mag einfach das Gefühl, mich schnell fortzubewegen.

Okay … und weiter?

Wenn man im Ziel ist und die Zeit auf der Anzeigentafel sieht und denkt, krass, das hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals so schnell laufen kann. Oder wenn der Trainer im Kraftraum sagt, Mensch, Miri, das hättest du vor drei Monaten aber noch nicht geschafft. Ich glaube, ich mag, dass ich beim Laufen so direkt sehen kann, was all die Arbeit bringt. Man arbeitet hart, man bekommt ein Ergebnis. Das gibt mir das Gefühl: Ich mache etwas Sinnvolles, ich sitze meine Schulzeit nicht bloß ab.