Direkt und angenehm trocken

KONZERTDer junge kalifornische Jazzsaxofonist Kamasi Washington besticht bei seinem Auftritt am Dienstag im Astra-Kulturhaus

Etwas glüht in diesem Sound. Er ist gesättigt mit einer Klangfarbe, die ein vollmundiges Aroma ausströmt und in hiesigen Breitengraden so selten zu hören ist wie erntereife Früchte aus Kalifornien zu finden.

Nicht alle Ingredienzen, mit denen der US-Tenorsaxofonist Kamasi Washington und seine achtköpfige Band am Dienstagabend im gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Astra Kulturhaus für gelöste Stimmung sorgten, sind direkt greifbar. Nach etlichen Konzerten rund um den Globus mit den Stücken seines Debütalbums „The Epic“, das 2015 von jazzfernen und jazzverkorksten Kritikern gleichermaßen gefeiert wurde, kann man froh sein, dass Kamasi Washington nicht mehr den Retter der Musik geben muss, zu dem ihn die schreibende Zunft auserkor.

Die internationale Konzertroutine hat die Band schlicht noch lässiger gemacht und so finden auch neue Songs Eingang ins Programm. Washingtons Ton auf dem Tenorsaxofon ist direkt und angenehm trocken, auch mitreißende Passagen spielt er erstaunlich ruhig. Der Bandleader und der Posaunist Ryan Portman, den er seit Kindertagen kennt, sind ein eingespieltes Team für eingängige Melodien und knappe Fanfaren mit Signalwirkung. Eigentlich stehen sie einer klassischen Hardbop-Formation vor, wie sie in den fünfziger Jahren mit zwei Bläsern plus Rhythmusgruppe aus Klavier, Bass und Schlagzeug an der Ostküste der USA zur Blüte gelangte.

Professor Boogie

Aber Washington und seine Musiker sind aus Los Angeles, und so sitzen mit Tony Austin und Robert Miller zwei Drummer hinter ihm, spielt Brandon ‚Professor Boogie’ Coleman diverse Keyboards und singt Pa­trice Pitman Quinn die Melodien mit den Bläsern und bewegende Texte. Zudem spielt Kamasis Vater, Rickey Washington fast jedes Stück mit, er ist kleiner als sein Sohn und von eher zarter Statur. Anfangs wirkt er schüchtern, seine Stimme auf dem Sopransaxofon und der Querflöte klingt fantasiereich und schimmert auch dann noch fein, wenn die Schlagzeuger und der Bassist Miles Mosley nach vorne preschen. Außerhalb von New Orleans und von Kirchen sind solche Familienbande auf der Bühne eine Seltenheit geblieben.

Rickey Washington verkörpert neben den Gospel-Wurzeln der Musik auch die Verbindung Kamasis zum Erbe des kalifornischen Jazz aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung. Der hierzulande wenig bekannte Pianist und Komponist Horace Tapscott hatte 1961 in Los Angeles das Pan Afrikan Peoples Arkestra gegründet, dem auch Streicher und SängerInnen angehörten. Tapscotts unorthodoxe Instrumentierungen und die Agenda starken afroamerikanischen Bewusstseins, transformiert zu Musik mit beseelenden Grooves, schwingt bei Kamasi Washington mit.

Ebenso schöpft die Band aus den siebziger Jahren, sie spielt nämlich beinharten Jazzfunk, der mal abgebrüht daherkommt, mal saftig bounct und dem Album „Head Hunters“ von Herbie Hancock alle Ehre macht. Brandon Coleman holt sämtliche Fender Rhodes, Orgeln und knarzende Riffs aus seinen Keys, sein Solo auf dem stilechten weißen Umhängekeyboard ist eine Show für sich.

Der Rhythmus wechselt

Der abschließende neue Song heißt The „Rhythm Changes“, Kamasi Washington beginnt ihn als Blues, legt dann ein Bebop-Solo mit dem Anflug von Charlie Parker hin, lärmt kurz trotzig wie Archie Shepp und eint die Band schließlich in hymnischem Gleichschwung für die Textzeilen, ,No matter what has happened/No matter what will, I am here“. Was für eine friedliche Botschaft angesichts des systemischen Rassismus in den USA, die Ursache für mangelnde gesellschaftliche Teilhabe von AfromerikanerInnen, Kriminalität und Gewalt. Diesen Hintergrund im Bewusstsein ist es tatsächlich ein kleines Wunder, dass Kamasi Washington mit seinem Vater und den Gefährten in Berlin gastiert hat.

Franziska Buhre