Nazi-Graffiti sind nicht gefährlich genug

Strafrecht BGH hat Urteile über die „Autonomen Nationalisten Göppingen“ aufgehoben

ANG-Rädelsführer sind jetzt in der Partei „Der Dritte Weg“

FREIBURG taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat strenge Anforderungen an die Strafverfolgung von kriminellen Nazi-Vereinigungen aufgestellt. Der Prozess gegen Rädelsführer der „Autonomen Nationalisten Göppingen“ (ANG) muss deshalb wiederholt werden.

Die ANG waren 2009 in der schwäbischen Industriestadt Göppingen als rechte „Kameradschaft“ gegründet worden. Ab 2011 haben die ANG als „kriminelle Vereinigung“ agiert, so das Landgericht Stuttgart in einem aufsehenerregenden Urteil im August 2015. Dabei wurden den ANG 55 Vorfälle zugerechnet, überwiegend Sachbeschädigungen mit Aufklebern, Plakaten und Graffiti. Verbreitet wurden Parolen wie: „Nationaler Sozialismus oder Untergang“, „Ausländer rein? Wir sagen nein!“ oder „Deutsche Jugend erwache!“.

Daneben soll es drei körperliche Angriffe auf politische Gegner gegeben haben. Außerdem wurde ein Antifa-Widersacher im Internet zweimal beleidigt und verleumdet. Das Landgericht verhängte deshalb über vier führende Mitglieder der ANG Freiheitsstrafen bis zu 28 Monaten wegen Gründung oder Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“.

Der Prozess hatte 45 Verhandlungstage gedauert, dabei waren 120 Zeugen geladen. In der Revision hob der BGH diese Urteile nun aber wieder auf.

Eine kriminelle Vereinigung könne nur angenommen werden, wenn die begangenen oder geplanten Straftaten eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellen. Dies sei nicht der Fall bei einer Gruppe, die vor allem Sachbeschädigungen mittels Aufklebern, Plakaten und Graffiti begehe, vor allem da die verbreiteten Parolen nicht strafbar waren (abgesehen von zwei Hakenkreuzen und einer Siegrune). Da es nur „vereinzelt“ zu Körperverletzungen und Beleidigungen gekommen war, prägten diese nicht das Bild der ANG, so der 3. Strafsenat des BGH. Das Landgericht Stuttgart muss den Fall nun erneut verhandeln.

Das BGH-Urteil stammt schon von Ende Mai, wurde aber erst jetzt bekannt, als das Landgericht eine Wiederholung des ANG-Prozesses ankündigte. Auf Nachfrage der taz und anderer Medien wurde das Urteil inzwischen immerhin auf der BGH-Webseite veröffentlicht.

Ein Wiederaufleben der ANG ist nicht zu erwarten, denn die Vereinigung wurde Ende 2014 vom Stuttgarter Innenministerium verboten. Die strafrechtliche BGH-Entscheidung hat keine Auswirkungen auf das öffentlich-rechtliche Verbot. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung sind allerdings zwei ANG-Haupttäter inzwischen wieder in Göppingen aktiv, diesmal in der neonazistischen Splitterpartei „Der Dritte Weg“. (Az.: 3 StR 86/16)

Christian Rath